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Das Friedensgebot des Grundgesetzes entfalten

Anlässlich des 75. Jahrestages der Proklamation des Grundgesetzes erklärt pax christi Rottenburg-Stuttgart:

Der 75. Jahrestag der Proklamation des Grundgesetzes ist für pax christi Anlass zur dankbaren Erinnerung und mahnenden Verpflichtung. Auf den Trümmern, die der 2. Weltkrieg und das nationalsozialistische Terrorregime hinterlassen hatten, ging es darum, eine demokratische Gesellschaft aufzubauen, die für alle Zukunft Totalitarismus, Rassismus und Kriegstreiberei aus ihrer Mitte verbannen sollte. Das Grundgesetz ist ein Versprechen des Staates gegen alle totalitären Versuchungen und für den Vorrang der Freiheit der Bürger:innen gegenüber dem Staat.

"Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen" - so fasst die Präambel das Friedensgebot des Grundgesetzes zusammen. Diesem Grundsatz diente die Übernahme der in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte formulierten Grundrechte.

Auch das in Art. 4(3) verankerte Recht auf Kriegsdienstverweigerung anerkennt, dass eine pazifistische Entscheidung ein Grundrecht darstellt.

Die Stuttgarter Pazifistin Anna Haag konnte über die baden-württembergische Landesverfassung erreichen, dass das Recht auf Kriegsdienstverweigerung im Grundgesetz aufgenommen wurde. An ihr und ihrem Mut orientieren wir uns und sehen es als unsere Aufgabe, uns heute für die Menschenrechte und das Friedensgebot im Grundgesetz einzusetzen.

Wenn heute wieder Kriegstüchtigkeit eingefordert wird, widerspricht dies dem Friedensgebot der Verfassung. Wir erinnern daran, dass das Grundgesetz zunächst keine Aufstellung von Streitkräften vorsah. Die später eingefügten Artikel 12a und 87a für den Verteidigungsfall rechtfertigen in keinem Fall Militäreinsätze im Ausland. Bei der Sicherung und Schaffung von Frieden und umfassender menschlicher Sicherheit haben zivile Mittel absoluten Vorrang.

Nach Artikel 24 (2) kann sich der Bund "zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen". 1994 verkehrte das Bundesverfassungsgericht diese Bestimmung in ihr Gegenteil, indem es damit die Beteiligung an Kriegseinsätzen der NATO legitimierte. Die NATO ist jedoch ein Militärbündnis und kein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit wie z.B. die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) oder die Vereinten Nationen. Die Beschränkung auf Landesverteidigung wird vollends verlassen, wenn damit auch die militärische Durchsetzung von Wirtschaftsinteressen wie die Sicherung von Rohstoffen und Handelswegen legitimiert wird.

Der Kolumnist Heribert Prantl hat darauf hingewiesen, dass das Friedensgebot des Grundgesetzes im Unterschied zum Rechtsstaats- oder Sozialstaatsgebot nicht entfaltet wurde, sondern "wie eine Glocke im Glockenturm der Verfassung" hängt, aber "schon lange nicht mehr geläutet" wird.

Die nach wie vor skandalöse Praxis von Rüstungsexporten belegt auf erschreckende Weise den Zusammenhang von Aufrüstung und wirtschaftlichen Interessen. Ein wirklicher Frieden der Welt kann nur gelingen, wenn die Globalisierung nicht Ausbeutung und Ungerechtigkeit bedeutet, sondern eine gerechte Weltwirtschaftsordnung. Frieden der Welt setzt voraus, dass die Länder des globalen Südens eine Existenzgrundlage haben und die Lebensgrundlagen unseres Planeten erhalten bleiben.

Das Asylrecht in Artikel 16 ist aus der Erfahrung der Bedrohung ganzer Bevölkerungsgruppen durch das NS-Regime und ihrer Angewiesenheit auf die Aufnahme durch andere Länder in das Grundgesetz aufgenommen worden. Die spätere Einfügung von Artikel 16a hat jedoch zu seiner Verwässerung geführt. Wir mahnen das Recht auf Asyl für politisch Verfolgte an, auch für Kriegsdienstverweigerer, deren Verweigerung in ihren Ländern nicht anerkannt wird.

Das Grundgesetz soll auch innerhalb unserer bundesdeutschen Gesellschaft Frieden und Gerechtigkeit garantieren. Es muss verteidigt werden gegenüber politischen Gruppen, die auch mit Gewalt auf die Abschaffung der Demokratie hinarbeiten. Wir sehen aber auch, dass ein solches antidemokratisches Denken befeuert wird durch Respektlosigkeit und Hetze im politischen Diskurs und in digitalen Medien.

Demgegenüber gilt es in Erinnerung an die Entstehung des Grundgesetzes auch heute um einen gesellschaftlichen Diskurs zu ringen, der Vielfalt anerkennt und dadurch die Grundlage für eine demokratische Gesellschaft legt.

Herausgegeben vom pax christi Diözesanverband Rottenburg-Stuttgart

Quelle: pax christi Diözesanverband Rottenburg-Stuttgart - Pressemitteilung vom 21.05.2024.

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Veröffentlicht am

22. Mai 2024

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