“Die Grenzüberschreitungen der Politik werden durch die Ignoranz der Bürger erst so richtig ermöglicht”Amputierte als Hoffnungsträger. Ein Kriegs- statt ein Verteidigungsminister bereitet uns alle vor. Und am Ende hat es mal wieder keiner kommen sehen.Roberto De Lapuente und Marcus Klöckner im Gespräch über Wahn und Wahnsinn unserer Zeit. Und über Krieg - und vor allem Frieden. De Lapuente: Svenja Schulze gab neulich einer ukrainischen Prothesenklinik ihren Segen. Viele Ukrainer verlieren ihre Extremitäten, sie ließen sich aber nicht unterkriegen, sagte sie. Früher wäre das als Sketch von Monty Python durchgegangen. Ich schäme mich etwas, weil mich diese bittere Realität auch auf einer Ebene belustigt. Kennst du dieses Gefühl auch? Klöckner: Ach, zu schämen brauchst Du nicht. Wenn eine Ministerin so einen Auftritt hinlegt und sich dafür nicht schämt, dann brauchst du dich auch nicht zu schämen, wenn du in dieser bitteren Realität etwas Lustiges siehst. Ich weiß jedenfalls, was du meinst. Allerdings habe ich beim Schauen des Videos nicht an Monty Python gedacht. Obwohl, jetzt wo du es sagst, die Verbindung naheliegt. Aber wir erleben das ja heutzutage immer wieder: Politiker und Co. übertreffen längst selbst eine extrem überspitzte Filmwirklichkeit - mit Leichtigkeit. Bisweilen ist das tatsächlich auch sehr unterhaltsam und ich ertappe mich öfter dabei, wie ich laut lache. In dem Falle ist das aber eher zum Kotzen. "Was wir bei Svenja Schulze sehen, reicht aus um zu kotzen"De Lapuente: Vor einem Jahr hat die New York Times fast hymnisch über amputierte Ukrainer geschrieben. Sie befragten die Frau eines Amputierten, die sagte "Er ist so sexy!" Jetzt Schulze aus dem Herzen der Versehrtenversorgung. Das hat - verzeih mir die zynische Metapher - durchaus Hand und Fuß: Denn so leistet man doch jener Verrohung Vorschub, die nötig ist, will man ein Volk kriegstüchtig machen. Oder bin ich zu verweichlicht? Klöckner: Wir haben es mit einer abartigen Propaganda zu tun. Zuerst verkaufen Politiker, Journalisten und Experten den Krieg bzw. die Annahme des Kampfes als ehrenwert, gerecht, richtig usw. Das dient dazu, den Blick aufseiten der Bevölkerung zu trüben. Wenn die Bürger schon nicht "Hurra!" schreien, sollen sie wenigstens auch nicht gegen den Krieg sein. Sie sollen einsehen, dass der Kampf oder die Verteidigung notwendig sind. Von den Schrecken des Krieges, von dem Grauen, das die Soldaten an der Front schon in den ersten Stunden des Kampfes erleben, erzählen Politiker nichts. Sich hinzustellen und zu sagen: "Nach einer Woche gibt es die ersten hundert amputierten Soldaten auf unserer Seite!" - das könnte die Bevölkerung verunsichern. Also überdecken die Realitätsfrisierer die Realität mit schönen Worten und irgendwann auch mit Durchhalteparolen. Quelle: Overton Magazin - 26.05.2024. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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