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Nato-Krieg gegen die Psyche

Von Georg Rammer

Der kriegstüchtige Minister steht im Turm des Kampfpanzers. In voller Gefechtsmontur weist er uns den Weg und das Ziel: nach vorne … Längst haben wir uns an die Fotos und Meldungen in den Medien gewöhnt: Kriegspropaganda aus allen Rohren (um im Bild zu bleiben). Im Visier: wir, das kriegsentwöhnte Volk.

Seit Jahrhunderten musste das gemeine Volk gelockt und bearbeitet werden, um zu morden und sich für die Machtgelüste der Herrschenden freiwillig abschlachten zu lassen. Aber die PR-Methoden mussten perfektioniert werden. Der frühere Nato-Sprecher Jamie Shea erzählte nach dem völkerrechtswidrigen Nato-Überfall auf Jugoslawien (der in unseren Medien nicht so genannt wird) auf Einladung einer PR-Firma, wie man einen Krieg verkauft: "Selling a Conflict - the Ultimate PR Challenge". Natürlich habe die Nato Völkerrecht und Souveränität verletzt - deshalb erfand man den "humanitären Einsatz". Dem TV-Publikum müsse man täglich Seifenopern mit Hauptdarstellern und klarer Rollenverteilung bieten: "good guy" und "bad guy". Und: "If you don’t have a story, make a story".

Allerdings wirkt diese Propaganda überholt im Vergleich zum "Cognitive Warfare" (CW), den die Nato als "Game Changer" entwickelt (vgl. "The 21st-Century Game Changer - Cognitive Warfare", The Three Swords 39/2023). Manipulation gilt dabei als neue Waffengattung. Spätestens seit dem "Krieg gegen den Terror", zu dem sich der Westen unter US-Führung selbst ermächtigt hat, gewinnt die psychologische Kriegsführung massiv an Bedeutung. Denn ein Sieg auf dem Schlachtfeld wie im Irak oder in Libyen garantiert keinen politischen Erfolg. Auch der schmachvolle Rückzug aus Afghanistan zeigt: Der Kampf um die Köpfe und Herzen der Menschen ist kriegsentscheidend.

Besonders die Kriege gegen Russland und China müssen mit den Waffen der Propaganda ausgefochten werden - gegen den Feind außen und innen. Die Nato erklärt den menschlichen Geist zum Schlachtfeld. In zahlreichen Publikationen erläutert sie Nutzen und Notwendigkeit des Psycho-Krieges: CW vermag ganze Gesellschaften zu zerstören, indem "Zweifel an der Regierungsführung gesät, demokratische Prozesse untergraben, zivile Unruhen ausgelöst oder separatistische Bewegungen angestiftet" werden (eigene Übersetzung aus "Countering cognitive warfare: awareness and resilience". Nato Review 20 Mai 2021). Wer hierbei an die Ukraine 2014 oder Georgien heute denkt, dürfte nicht ganz falsch liegen. Als Methode verwendet CW etwa die Verbreitung widersprüchlicher Narrative, die Polarisierung von Meinungen, Radikalisierung von Gruppen und ihre Anstiftung zur Zerstörung der Gesellschaft.

Digitale Medien bieten die Basis für umfassende Manipulation: Sie wissen, was wir mögen, und glauben, sie verfolgen, wohin wir gehen und mit wem wir Zeit verbringen. Such- und E-Commerce-Plattformen nutzen unsere Tracking-Daten, um unsere Präferenzen, Wünsche und Überzeugungen auszuforschen und praktisch umzusetzen. Aber all diese Methoden kennt der Feind natürlich auch. Deshalb muss die Nato "proaktiv" die Führung auf dem Schlachtfeld des menschlichen Geistes übernehmen. Auf lange Sicht werden die Nato-Staaten nur dann siegen, wenn sie die totale Kontrolle über die Psyche der Menschen, Zivilisten wie Militärs, und über Staaten erlangen. Dies erfordert einen Krieg gegen kritische Gedanken und oppositionelle Überzeugungen. In den Menschen muss die Repräsentation der Wirklichkeit verändert werden: "It is therefore a war against its ways of thinking, its mental logics, its spontaneous representations and its conceptual processes. The goal is to alter the representation of the world, but this has the consequence of undermining the whole-of-society in a very likely durable way" (Cognitive Warfare, a Battle for the Brain. Nato, Francois du Cluzel, ohne Datum).

"Cognitive Warfare": Der Begriff greift zu kurz. Der Krieg zielt nicht nur auf Gedanken, sondern auch auf Gefühle und Befindlichkeit und die Orientierung in der Welt. Traditionelle Werte und Gewissheiten sollen aufgelöst werden, ebenso das Erkennen von Zusammenhängen. Dafür müssen die Sicherheit und das Eingebettetsein in die Realität destabilisiert und zerstört und durch eine neue, durch staatliche Propaganda geformte (Schein-)Wirklichkeit ersetzt werden. Solch destabilisierter Mensch in einer ebensolchen Gesellschaft gilt nicht als krank, sondern als erwünschtes Endprodukt. Für durchgreifenden, dauerhaften "Erfolg" dieses Krieges genügt es nicht, einzelne Kritiker ins Visier zu nehmen; die ganze Gesellschaft muss von der allumfassenden Neuformatierung der Wirklichkeit durchdrungen sein. Destabilisierung der Psyche wie auch der Gesellschaft garantiert die totale Kontrolle - möglichst unterhalb der Schwelle der Wahrnehmung, um keinen Widerstand aufkommen zu lassen.

Auf dem Hintergrund dieser Nato-Konzepte versteht man, was "Zeitenwende" und Erziehung zu "Kriegstüchtigkeit" auch bedeuten: nicht nur Aufrüstung und Militarisierung, sondern auch das, was früher Gehirnwäsche genannt wurde. Kritik an Waffenlieferungen in die Ukraine, Forderungen nach Verhandlungen werden zu Verrat, Hinweise auf die Vorgeschichte vom Verfassungsschutz zur feindlichen Desinformation gestempelt. Täglich sind wir mit politischen Ereignissen konfrontiert, die verwirren und eine Destabilisierung bewirken. Während etwa westliche Politiker wie Michael Roth, SPD, in Georgien vor Demonstranten hetzerische Reden zur Verhinderung eines Gesetzes gegen ausländische Einflussnahme halten, praktizieren oder planen die USA, die EU und Deutschland bereits vergleichbare Gesetze. Zum Weltflüchtlingstag rühmt die Politik das Engagement für Flüchtlinge als "gelebte Mitmenschlichkeit", während gleichzeitig deren Abwehr radikalisiert und das Asylrecht gecancelt wird. Eine US-Historikerin (Anne Applebaum), die für einen militärischen Sieg über Russland kämpft, bekommt den Friedenspreis des deutschen Buchhandels, nachdem sie zuvor schon mit dem Carl-von-Ossietzky-Preis (!) geehrt wurde.

Die Doppelmoral hat System - und macht konfus. Die Wahrnehmung der Wirklichkeit muss der Fake-Reality weichen. Während staatliche Repräsentanten das Grundgesetz feiern, werden WissenschaftlerInnen für Stellungnahmen abgestraft, die nicht zur willkürlich definierten Staatsräson passen. Die Politik lobt Großdemonstrationen gegen "Remigration" - und verabschiedet gleichzeitig das "Rückführungsbeschleunigungsgesetz". Der Sieg über den Faschismus wird groß gefeiert, ohne Russland auch nur zu erwähnen - die Erinnerung wird ausgelöscht. Milliardenhilfen für die Ukraine verbindet man mit Plänen zur Ausbeutung des Landes. Während Kritik an der menschenverachtenden Politik Israels als antisemitisch gebrandmarkt, Unterstützung für Palästina mit Ausweisung bedroht wird, unterstützt der Staat aus "Staatsräson" die rechtsextreme Regierung und deren Massaker politisch und militärisch. Die Bombardierung von Flüchtlingslagern wird nicht aufgeklärt - wegen "Staatswohl" und "Geheimhaltungsinteressen" der Bundesrepublik. Ebenso die Ermordung von weit über hundert Journalisten in Gaza.

Die Grenze zwischen Schein und Realität verschwimmt, die angestrebte Umformung der Repräsentation der Wirklichkeit ist voll im Gange. Der Krieg gegen falsche Gedanken und Gefühle gleicht der Monsanto-Strategie: Jedes Unkraut mit Gift vernichten und das gesamte Feld gentechnisch verändern. Definition und Ahndung abweichender Meinungen und Äußerungen übernimmt der Verfassungsschutz. Und schon steht ein Heer von Gehilfen in Politik, Wirtschaft, Presse, Wissenschaft, Stiftungen und Think Tanks bereit, den Cognitiv Warefare mit Narrativen zu führen: Hilfsorgane der Nato bei der Konstruktion der Fake Reality. Es bedarf keiner Verschwörung: Man weiß, was verlangt ist und tut es für die vorgebliche nationale Sicherheit, die nicht mit den Bedürfnissen der Bevölkerung übereinstimmt. Es genügt vollkommen, die allgemeine Richtung der Politik propagandistisch zu verbreiten: Feindbild, Wirtschaftskrieg, moralische Überlegenheit der westlichen Werte - unter Ausblendung von Kolonialismus, Krieg und Weltherrschaft.

Der Kapitalismus herrscht (fast) auf der ganzen Welt: Ist sie dadurch besser, sind die Menschen glücklicher geworden? Mitnichten. Aber dieses System kann nicht friedlich einen Interessenausgleich suchen und Menschen gleichwertig behandeln. Ein Krieg wird als unausweichlich dargestellt, jeder Kritiker gilt als Dissident und muss als Feind behandelt werden. Die westliche Politik mit ihrer Versessenheit auf Hegemonie droht, die Welt zu zerstören. Die Nato führt Krieg, auch gegen uns.

Quelle: Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik, Kultur, Wirtschaft , 14/2024. Wir veröffentlichen den Artikel mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

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Veröffentlicht am

24. Juli 2024

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