Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Kundgebung und Demonstration gegen neue Mittelstreckenraketen - Nicht mit uns!

Anlässlich der Diskussion um die Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in Deutschland rief der Friedenstreff Stuttgart Nord am 25.7.2024 in der Stuttgarter Stadtmitte zu Protesten auf gegen diese Aufrüstungsmaßnahme. Bei der Kundgebung hielt der ehemalige Betriebsseelsorger, katholische Pfarrer und Friedensaktivist Paul Schobel eine Rede, die wir nachfolgend dokumentieren.

Von Paul Schobel

Ein geschichtsträchtiger Tag heute in Stuttgart: Vor genau 80 Jahren versank diese Innenstadt in Schutt und Asche. In drei mörderischen nächtlichen Fliegerangriffen im Juli 1944 verloren über 800 Menschen ihr Leben. Um die 2000 wurden schwer verletzt und 100.000 obdachlos. Nicht weit von hier erinnert mit dem Kosenamen "Monte Scherbelino" der Stuttgarter Trümmerberg an die verheerenden Bombennächte in unserer Stadt und mahnt eindringlich: Nie wieder Krieg! Vergebens! Denn dieses Monster, diese Ausgeburt der Hölle tobt nun auch wieder in Mitteleuropa. Ohne mit der Wimper zu zucken, ließen sich die politisch Verantwortlichen in unserem Land in diese Kriegslogik hineinziehen und haben sie unreflektiert übernommen, als wäre der Krieg ein Schicksalsschlag. Mit der "Zeitenwende" – für uns Christenleute eigentlich eine messianische Friedensverheißung – verstärkt Deutschland den epochalen Rückschlag der Menschheit. Nun wirft es uns human, ökonomisch, ökologisch und kulturell um Jahrhunderte zurück:

  • Hunderttausende von Toten, Verstümmelten, Traumatisierten sind nun wieder pure Normalität.
  • Die Politik wird auf "Schlachtfelder" ausgelagert. Dieses abscheuliche Wort geht den Verantwortlichen mühelos über die Lippen. Statt Argumenten entscheiden Leichen- und Trümmerberge. Wer wirksamer tötet, hat am Ende Recht. Primitiver geht’s nicht. Das ist die bedingungslose Kapitulation der Politik gegenüber der Gewalt und der Bankrott der Diplomatie.
  • Nun auch noch atomwaffenfähige Mittelstrecken-Raketen in unserem Land – was für ein hübsches kleines Mitbringsel aus Amerika. Danke, Onkel Olaf. Mit diesem Schießzeug erfüllt sich nun der Herzenswunsch mancher Abgeordneter, endlich den "Krieg nach Russland hineinzutragen", Bunker zu knacken sogar jenseits des Urals, und Kommandozentralen zu pulverisieren. Eine neue gewaltige Umdrehung der Rüstungs-Spirale, der tödlichen Schraube hinein ins Nichts. Denn diese Waffen werden geradezu magnetisch eine heftige Gegenwehr anziehen und können einen "Erstschlag" oder "Enthauptungsschlag" provozieren. Wir werden nun noch mehr zur Zielscheibe. Es ist doch gar keine  Frage, dass unser Ländle mit seinen US-Kommandozentralen und einer blühenden Rüstungsindustrie längst ins Fadenkreuz russischer Raketen geraten ist. Wir treiben den Wahnsinn mit Waffen und Waffenlieferungen noch solange weiter, bis eines Tages taktische Atomwaffen zum Einsatz kommen. Sehenden Auges tanzen wir auf dem Vulkan und  taumeln am Abgrund eines dritten und letzten Weltkriegs, wenn es nicht endlich gelingt, die Spirale der Gewalt zu stoppen und miteinander zu verhandeln.
  • Die Menschheit ist angesichts des dramatische Klima-Wandels und begrenzter Ressourcen dem Untergang geweiht, wenn sie weiter auf Abschreckung setzt, statt auf ein friedliches Miteinander.  Auf permanente Bedrohung, statt auf vertrauensbildende Maßnahmen. Auf martialische Hochrüstung, statt auf Abrüstung. Es muss jetzt endlich ein Ende damit haben, dass unfähige Politik immer noch mehr junge Menschen verheizt, die elend in Erdlöchern krepieren und in glühenden Panzern verbrennen. Dass Kinder und Frauen klagen und weinen, alte Menschen in Ruinen hausen, Kranke unter ihren Kliniken verschüttet werden und Hunderttausende fliehen müssen.
  • Was wir mühsam erwirtschaftet haben, darf nicht länger im Rachen der Rüstungsindustrie verschwinden. Wir haben – weiß Gott – andere Sorgen: Alle dreizehn Sekunden stirbt irgendwo ein Kind an Hunger. Klimawandel und steigende Meeresspiegel treiben ganze Völker in die Flucht. Auch wir – noch in den Speck-Gürteln gut genährt, werden das nicht überleben. Da braucht’s viel Cannabis, um das noch auszuhalten.

Man könnte das Klagelied endlos weitersingen. Wenn es nur endlich einmünden würde in einen kolossalen, weltweiten Aufschrei: Schluss jetzt, ihr Knallköpfe, wir machen da nicht mehr mit. Schluss mit dieser "Kriegsbesoffenheit", die auch bei uns im Lande die  Gehirne vernebelt. Wir brauchen eine Friedens- und keine Kriegspolitik, Friedenstüchtigkeit und keine Kriegstüchtigkeit. Schickt endlich Diplomaten statt Granaten! Wenn die NATO nicht bald wieder zurückkehrt auf den Boden ihrer Verfassung, nämlich den Frieden zu sichern, dann nix wie raus aus dem Verein. Diesen Verrat tragen wir nicht länger mit!

Ich bin todtraurig darüber, dass Deutschland eine epochale Friedensmission verspielt hat. Als eine Nation, die zwei Weltkriege veranstaltet hat und am Ende deren bitterböse Folgen erleiden musste, hätten wir, wie kaum ein anderer, schlichten und vermitteln können. Statt dessen befeuern und verlängern wir die Kriege mit unseren Waffenlieferungen und zur Freude der Rüstungsindustrie und ihrer Aktionäre. Schluss damit, und zwar sofort: Wir wissen doch ganz genau, was das am Ende bedeutet: Massengräber, verbrannte Erde, Ende der Zivilisation.

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In der Nähe ist hier das Rathaus, an dem wir leider nicht Halt machen durften, sonst hätte ich an der Fassade hochgeblickt und die Frage gestellt: Ihr da oben – ist es nicht so, dass die Kommunalpolitik jetzt schon die Zeche der Kriegs-Politik bezahlt und unsäglich an den Kriegsfolgen leidet? Es kommt immer noch toller:

  • Statt Wohnungen müssen nun Bunker und Schutzräume gebaut werden. Jetzt heißt es, die unterirdische Bunker-Welt bei der Leonhardskirche und hier unterm Rathaus wieder zu ertüchtigen, auch das ist Teil der geforderten Kriegstüchtigkeit. Derweil sich die Wohnungsnot noch mehr verschärft. Sie bedeutet noch mehr Obdachlosigkeit mit all ihren Folgen. Fachkräftemangel auch, wenn diese keine bezahlbare Wohnung finden können. Das gefährdet auch den Wirtschaftsstandort.
  • Kriege verursachen Flüchtlingsströme, ganze Völkerwanderungen. Ihr werdet sehen: Bald stehen wieder Menschen in Massen von heute auf morgen vor Rathäusern und Landratsämtern und fluten die Infra-Struktur. Sie müssen untergebracht und betreut werden. Kommunen: Euer Bier! Macht mal bitte!
  • Kriegshaushalte schlagen durch auf die ohnehin schon notleidenden Sozialhaushalte. Dann geht die Schlange vor dem Tafelladen halt hoch bis zum Bopser. Die Armut wird dramatisch steigen – und mit ihr die Gefahr sozialer Unruhen. Die fehlen uns gerade noch! Wenn der relative soziale Friede auch noch zerbricht, steigt die Gewaltbereitschaft , dann haben wir den Krieg auf den Straßen. Die Messer sitzen ohnehin schon locker.
  • Alle Bemühungen, Umwelt und Klima zu schützen, werden angesichts der Kriege der Lächerlichkeit preisgegeben, denn der Krieg ist die größte Umwelt-Sau. Allein Rüstung und Militär verursachen weltweit 6 % der CO²-Emissionen – doppelt soviel wie der internationale Flugverkehr. Das haben die Klima-Schützer immer noch nicht auf dem Schirm! In den  6 % sind die eigentlichen Kampfhandlungen, die kolossalen Zerstörungen und erst recht der Wiederaufbau gar nicht erfasst!

Und darum wende ich mich an alle Verantwortlichen in der Kommunalpolitik mit dem Appell: Spielt da nicht einfach länger mit! Denn Ihr, und das heißt am Ende wir, sind die Deppen in diesem Spiel. Und daher frage ich: Wann haken sich endlich Stadt- und Gemeinderäte mit ihren Amtsleitern bei uns unter? Ich möchte OB‘s und Landräte bei uns vorneweg in der ersten Reihe sehen. Springt doch bitte über den Schatten der Parteidisziplin, wenn diese ihre Friedensprogramme schreddern. Warum hört man nichts vom Städtetag, von den Kommunalen Spitzenverbänden? Warum löffelt die Kommunalpolitik klaglos diese Suppe aus, die ihnen die Kriegsherren einbrocken? Noch nie was von Demokratie gehört – oder was? Ihr solltet unsere Verbündeten sein.

Ich schließe heute mit einem Appell des großen Physikers und Pazifisten Albert Einstein, der zum Ende seines Lebens todtraurig darüber war, dass seine Formel die Entwicklung der Atombombe ermöglicht hat. Er appelliert an seine Nachtwelt – und das sind wir:

"Liebe Nachwelt, wenn ihr nicht gerechter, friedfertiger und vernünftiger werdet als wir, so soll euch der Teufel holen." Kein frommer Wunsch! Aber nun wissen wir, was zu tun ist, damit er nicht in Erfüllung geht: Gerechter, friedfertiger und vernünftiger leben und handeln!

Veröffentlicht am

28. Juli 2024

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