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Ein Friedensministerium würde uns von der Kriegsertüchtigung erlösen

Schriften des Österreichers Moritz Adler (1831-1907) - Regal: Pazifisten & Antimilitaristen aus jüdischen Familien 3

Von Peter Bürger

Der dritte Band im Regal "Pazifisten & Antimilitaristen aus jüdischen Familien" erschließt die Schriften des Österreichers Moritz Adler (1831-1907), der im 19. Jahrhundert zu den wenigen Pionieren der Friedensbewegung im deutschsprachigen Raum zählte. Schon im Alter von 20 Jahren verschrieb sich dieser Kritiker des preußischen Schwertglaubens der Friedensidee und veröffentlichte dann 1868 eine der Zeit weit vorauseilende Europa-Vision unter dem Titel "Der Krieg, die Kongressidee und die allgemeine Wehrpflicht". In einem Sendschreiben an den Chirurgen Professor Theodor Billroth verglich er 1892 systematische Maßnahmen für eine verbesserte Medizinversorgung des Kriegsapparates mit der Bereitstellung neuer Kanonen für den institutionalisierten Massenmord.

Im Rahmen seiner zahlreichen Beiträge für Bertha von Suttners Zeitschrift "Die Waffen nieder!" schrieb Adler im November 1898:

"Ist es nicht beschämend unlogisch, dass jede Großmacht zwei mit hunderten Millionen ausgestattete Ministerien für den Krieg zu Lande und zur See besitzt, für den Krieg, den man in den Thronreden und Botschaften zu hassen behauptet; und nicht eine einzige Million für den Frieden aufwendet, den man doch liebt und um die Wette preist, und den man offenbar auf dem direkten Wege, durch ein verschwindendes Opfer für ihn, weit sicherer, dauerhafter und edler haben könnte, als auf dem indirekten Wege über Krieg, permanente Rüstung, Spionage und Diplomatie. Denn dass die Ministerien des Äußeren nichts anderes als Affiliierte der Kriegsministerien sind, die den letzteren hauptsächlich ihren Bedarf an Rüstungspressionen … beizustellen haben, das lehrt gerade die neueste Geschichte und Tagesgeschichte auf jedem ihrer Blätter. Ein Ministerium für Frieden und Fortschritt würde uns mit der Zeit vom Ministerium des Krieges erlösen …"

Die erste Digitalausgabe dieser neuen Sammlung ist im Rahmen der Projektpartnerschaft wieder beim Lebenshaus Schwäbische Alb e.V. erschienen und enthält die beiden selbstständigen Werke Adlers (1868/1892) sowie eine Auswahl der Aufsätze für die Zeitschrift Bertha von Suttners (1892-1899). Jetzt liegt auch die Buchfassung vor:

Moritz Adler: Wenn du den Frieden willst, bereite Frieden vor. Texte wider den Krieg 1868 – 1899. (edition pace – Regal: Pazifisten & Antimilitaristen aus jüdischen Familien 3). Herausgegeben von Peter Bürger. In Kooperation mit dem Lebenshaus Schwäbische Alb e.V. Norderstedt: BoD 2024.
(ISBN 978-3-7597-9450-5; 272 Seiten; Paperback; 11,99 Euro)

Inhaltsverzeichnis und Leseprobe auf der Verlagsplattform (überall im nahen Buchhandel bestellbar): https://buchshop.bod.de/wenn-du-den-frieden-willst-bereite-frieden-vor-moritz-adler-9783759794505

Zur Person Adlers

Moritz Adler wurde geboren am 3. September 1831 in Habern/Böhmen. 1862 heiratete er Karoline Levit (geb. 1842 in Pilsen, gest. 1897 in Wien), die wie er ‚mosaischen Glaubens‘ war. Bezogen auf Adlers "Stellung zum Judentum" führt das Lexikon deutsch-jüdischer Autoren folgende Passage seines Briefes an L. A. Frankl (Wien, 26.4.1888) an: "Das Gedicht ‚Mahnung‘ hat mir heute in seiner lieblichen Wehmut und tiefen Innerlichkeit noch mehr ans Herz gegriffen als gestern, und wohl noch nie hat unser Stamm eine edlere Verherrlichung und eine wahre Apologie erfahren, als in dem tief bedeutsamen Symbol ‚echter Judenbaum‘."

Zum Werdegang teilt Franz Brümmer mit: Moritz Adler "besuchte die Gymnasien in Iglau & Prag und studierte darauf an den Universitäten in Prag & Wien Rechts- u. Staatswissenschaften, wie auch antike und moderne Sprachen und Literatur. Er behielt seinen Wohnsitz in Wien und war hier als Schriftsteller besonders nach der Richtung hin tätig, dass er stets die Philosophie der Geschichte, des Rechts und der Institutionen auf das Problem des weltrechtlich zu schützenden internationalen Friedens anwandte. Er war dann auch, besonders in den Jahren 1890-1900, ein fleißiger Mitarbeiter der Zeitschrift ‚Die Waffen nieder!‘ u. veröffentlichte schon 1868 sein bekanntes Werk ‚Der Krieg, die Kongreßidee und die allgemeine Wehrpflicht‘. - [Dichterische] S[chrift]: Die Opale (Idealist[isches]. M[ärchen].), 1901."

Im Februar 1907 zeigt die ‚Friedens-Warte‘ den Tod von Moritz Adler an: "Die Oesterreichische Friedengesellschaft hat abermals einen Verlust erlitten. Unser langjähriges Mitglied, der bekannte Schriftsteller Moritz Adler, ist am 25. v. M. verschieden. Über sein Wirken in unserer Bewegung wird im Hauptteile berichtet. Der Verstorbene hinterließ unserer Gesellschaft ein Legat von 200 Kronen." Der Nachruf in der gleichen Ausgabe lautet: "Am 25. Januar [1907] starb zu Wien nach langem, schweren Leiden Moritz Adler, einer der ältesten und genialsten Verfechter des Friedensgedankens in deutschen Landen. Er wurde 1831 zu Habern in Böhmen geboren. Bereits mit 20 Jahren war er ein Anhänger der Friedensidee. Im Jahre 1868 veröffentlichte er anonym ein Buch: ‚Der Krieg, die Kongressidee und die allgemeine Wehrpflicht im Lichte der Aufklärung unserer Zeit von einem Freunde der Wahrheit‘. Er widerlegte darin die verschiedenen Gründe für die Notwendigkeit des Krieges. ‚Der wahre innere Grund der Kriege ist das Gesetz der Veränderungs- und Fortschrittsbedürftigkeit aller menschlichen Institutionen, also auch der Staatenbildung‘. Er forderte (1868!) ein Völkertribunal für Europa, welches als permanenter Kongress auch die Exekutive hat und die Unfügsamen bekriegt. Das Buch dürfte mit den am 16. September 1868 in Prag versammelt gewesenen Philosophenkongress, der zahlreiche Resolutionen im Sinne der Friedensidee fasste, in irgendwelchem Zusammenhange stehen. Jedenfalls hat Adler ein Anrecht darauf, unter den Vorläufern der neueren Friedensbewegung gerechnet zu werden, die ja gerade in deutschen Ländern nicht so zahlreich sind. - Später (1892) veröffentlichte er noch eine Broschüre: ‚Offenes Sendschreiben an Professor Billroth‘, wozu Baronin Suttner die Vorrede schrieb. Allgemein bekannt sind seine geistvollen Aufsätze, die er jahrelang in der Revue ‚Die Waffen nieder!‘ veröffentlichte. In seinem Nachlass befindet sich ein umfangreiches Werk: ‚Zur Philosophie des Friedens‘, das hoffentlich der Öffentlichkeit nicht lange vorenthalten bleiben wird. - Die moderne Friedensbewegung verliert an Adler einen ihrer geistreichsten, schärfsten und konsequentesten Vertreter. Dies wird ihm ein ehrendes Andenken in der Geschichte dieser Bewegung sichern."

"Bewaffneter Friede" als Feind der Menschheit (1868)

Die vollständig irrationalen Auf- bzw. Wettrüstungsspiralen (mit ihren zerstörerischen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Folgen) sowie die Allgemeine Wehrpflicht führen Adler zufolge hin zu einem Zustand des "bewaffneten Friedens", der alles andere als Frieden in sich birgt: "Wie die Dinge noch heute stehen, bildet der Krieg und nicht der Frieden die Grundinstitution des europäischen Staatensystems. Der Krieg ist faktisch eigentlich in Permanenz erklärt; der bewaffnete Friede, den der Sprachgebrauch irrig und schlechtweg Friede nennt, ist eigentlich kein Frieden, sondern nur ein Waffenstillstand". Die "gesamte Menschheit" kann "keinen gefährlicheren Feind haben […] als die Massenheere, die soeben unsern ganzen Weltteil unter dem Beifall der urteilslosen Menge in ein großes, bewaffnetes Feldlager verwandeln".

Friedensertüchtigung statt neue Militärkrankenhäuser (1892)

Im Jahr 1892 veröffentlicht Moritz Adler sein mit einem Vorwort der Baronin Bertha von Suttner versehenes Offenes Sendschreiben an den berühmten Medizinprofessor und herausragenden Chirurgen Theodor Billroth (1829-1894). Dieser hatte unter Beifall der Presse und der Kriegsministerien im Vorjahr Maßnahmen für eine durchgreifend bessere medizinische Vorsorge mit Blick auf die Erfordernisse des im 19. Jahrhundert revolutionierten Militärwesens vorgeschlagen. Doch auf diese Weise, so Adler, kann man die "möglicherweise bevorstehenden Massenkriege" der Zukunft nicht verhindern, sondern nur begünstigen. Das Ideal der vorauseilenden humanitären Linderung von Kriegsleiden fördert in Wirklichkeit das Programm ‚Krieg‘. Die Kritik wird vorgetragen als fiktive Rede eines Arztes, der sich dem Ansinnen der Betreiber des Zukunftskrieges entzieht: "[D]roht der Krieg mit seinem Harpyengefolge - dann fragen wir uns vor Allem als Menschen, Staatsbürger, Weltbürger und als Ärzte -, ob der Krieg eine Notwendigkeit - ob er noch heute eine unvermeidliche Notwendigkeit, - wie vor Jahrhunderten und Jahrtausenden [ist], und, wenn wir diese Frage vor unserem Gewissen und bestem Wissen nicht zu bejahen vermögen, dann gehen wir hin und schließen uns einer Friedensgesellschaft an mit Kopf und Herz, mit Wort und Tat".

Besonders pointiert wird Moritz Adler diesen Ansatz noch einmal in einem Aphorismus des gleichen Jahres vortragen: "Rotes Kreuz … Ja, aber, wenn ich dem Staate im Frieden den schönsten Sanitätstrain schenke, warum nicht lieber gleich eine Batterie Kanonen? Beides ist unentbehrlicher Bestandteil des Kriegsorganismus, beides drückt Zustimmung und Vertrauen zu dem vielleicht noch gar nicht im Amte stehenden Minister aus, der den Zukunftskrieg einfädeln und inszenieren wird, beides macht als Ausdruck der Stimmung und Gefasstheit des Volkes Lust zum Kriege, beides hilft, ‚zu Verwundende‘ schaffen, - und bei all dem ist das bisschen Verbandzeug dann ein jämmerlicher Trost für das arme Opfer des Krieges".

An anderer Stelle heißt es 1897: "von Boguslawski verewigte sich damit, dass er dem Kriege ‚die Fortschritte der Chirurgie‘ in’s Habenconto setzt, woraus natürlich zu folgern, dass das bei Glatteis übliche Bestreuen des Trottoirs als ein der Chirurgie abträglicher Missbrauch abgestellt werden sollte". - Nicht hin zu einer optimierten Kriegsverwundeten-Versorgung ergeht der Ruf des österreichischen Schriftstellers. Sein Leitgedanke lautet durchgehend: "Si vis pacem, para pacem" (Wenn du Frieden willst, bereite den Frieden - nicht den Krieg - vor).

Sozialdemokratie und Friedensbewegung (1898)

Wundern müssen wir uns nicht über den alltäglichen Militarismus, da doch "schon das Lesebuch der Volksschule den Erfolg der Schlauheit und Gewalt bei Gründung großer Reiche im vorbildlichen Sinne zu preisen bezweckt". Noch immer wendet sich Moritz Adler im Alter gegen blutige Revolutionen, und die Friedensfrage behält für ihn durchaus Vorrang gegenüber der sozialen Frage. Doch sein Einsatz gilt den "hungernden Enterbten, denen der Löffel Bettelnahrung von der unsichtbaren Gespensterhand der ewigen Rüstung von den lechzenden Lippen gerissen wird". 1898 wünscht Adler, dass "die Socialdemokratie und die Friedenspartei aller Länder und Zungen" einen gemeinsamen Weg gehen, und schreibt: "Jeder denkende Friedensfreund ist eo ipso Socialist, und anerkennt, dass der Socialismus die unendlich wichtigere, großartigere und umfassendere Organisation inʼs Leben zu führen berufen ist. Er weiß aber auch, dass seine Aufgabe die dringendere ist und den Vortritt beanspruchen darf und muss. […] anstatt der fehlenden Arbeit und des Brotes muss sich das Volk weiter mit den entgegenstarrenden Bajonetten seiner eigenen Söhne abspeisen lassen. […] Und darum sollen Demokraten und Socialdemokraten vor Allem [die] Abschaffung von Krieg und Rüstung, d. h. das Staaten- oder Welttribunal erkämpfen helfen".

Hinsichtlich "des zu Hamburg im Oktober 1897 abgehaltenen Parteitages der sozialdemokratischen Partei Deutschlands" muss Adler indessen erkennen, "dass die socialdemokratische Partei wohl schimpft, aber kauft, d. h. der Regierung für Krieg und Rüstung unter allen möglichen Vorwänden und Selbsttäuschungen die allerschätzenswertesten Dienste leistet. Eine Opposition – wie bestellt!". Nur wenige Redebeiträge von Genossen der – weithin übrigens ausgesprochen ‚russophoben‘ – Partei verdienen ein Lob: "Wir wollen den vollen und ganzen Frieden … Deshalb haben wir nicht dafür zu sorgen, die Soldaten mit Kanonen zu versorgen, damit sie nicht so gefährdet sind, sondern wir haben dafür zu sorgen, dass sie überhaupt nicht mehr dieser Gefahr ausgesetzt sind" (Sozialdemokrat Peus aus Dessau). - "Der Krieg, ob er gegen Frankreich, ob er gegen Russland geführt wird, er richtet sich in letzter Linie gegen das arbeitende Volk, und dem müssen wir entgegentreten. … Wer die Actionsfähigkeit der Armeen stärkt, stärkt den Kampf gegen das Proletariat, und das müssen wir ablehnen" (Sozialdemokrat Katzenstein).

Die zeitlos gültige Sentenz zu diesen von Adler vorgetragenen Erkenntnissen lautet: "Der Krieg nützt nur den Reichen, / Die Armen stellen die Leichen."

Veröffentlicht am

14. September 2024

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