Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Hetze gegen “die jüdisch-internationale Weltfriedensidee” im Jahr 1894

Lebenshaus-Projekt "Pazifisten und Antimilitaristen aus jüdischen Familien" - Quellenlese 3

Ausgewählt von Peter Bürger

Ein zentraler Aspekt des vom Lebenshaus Schwäbische Alb e.V. mitgetragenen Forschungsprojektes "Pazifisten und Antimilitaristen aus jüdischen Familien" wird die historische Beleuchtung des - bis heute zu beklagenden - Phänomens der antipazifistischen Judenfeindlichkeit sein. Unserer dritten diesbezüglichen Quellenlese seien einige einleitende Hinweise vorangestellt.

Friedrich-Karl Scheer schreibt in seiner Dissertation über die Geschichte der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG): "Auffallend ist […], daß zahlreiche Mitglieder jüdischer Herkunft an exponierter Stelle standen. Gewarnt durch einen Artikel in der ‚Täglichen Rundschau’ [1892], der den international-jüdischen Charakter der Bewegung anprangerte, hatte Bertha von Suttner [1892] Fried noch vor Gründung der Gesellschaft nahegelegt, bei der Werbung jüdischer Persönlichkeiten Zurückhaltung zu üben: ‚Wie die Dinge stehen, darf die Initiative nicht von zu vielen Juden ausgehen - sonst wird sie gleich klassifiziert.’ Getragen von der Welle des aufkeimenden Antisemitismus, nahmen die Angriffe gegen die DFG in der Folgezeit zu. Die Mitgliedschaft vieler Juden machte den ‚schwindsüchtigen Idealismus’ Bertha von Suttners wohl doch zu verdächtig. Und man hätte weit mehr Mitglieder jüdischer Herkunft nennen können als Fried, Grelling und Brasch sowie Balduin Groller und Moritz Adler, welch letztere als österreichische Pazifisten in der Suttnerschen Monatsschrift publizierten. Arbeiteten die Juden Theodor Creizenach und Eduard Loewenthal schon im 19. Jahrhundert im pazifistischen Sinne, so waren in der Zeit bis 1914 außer den Genannten u. a. folgende Mitglieder der DFG jüdischer Herkunft: Adolf Heilberg, Georg Arnhold, Max Hirsch, Georg Haberland, Lina Morgenstern, Georg Gothein, der Vorsitzende des Frankfurter Friedensvereins Alexander Dietz, die Professoren Martin Philippson, Moritz Lazarus und Ludwig Stein." (Friedrich-Karl Scheer: Die Deutsche Friedensgesellschaft 1892-1933. Organisation, Ideologie, politische Ziele. Ein Beitrag zur Geschichte des Pazifismus in Deutschland, Frankfurt a. M.: Haag + Herchen 1981, S. 120-121.)

Der ganze Wortlaut des genannten Schreibens der Baronin von Suttner an ihren jüdischen Weggefährten Alfred Hermann Fried vom 10. September 1892 sei hier angefügt: "Die Grelling-Nachricht ist sehr gut. Ich sehe schon, daß sich die [Friedens-]Gesellschaft in Berlin konstituieren wird. Dem Grelling werde ich schreiben. - Karpeles hat ganz recht, nicht beitreten zu wollen; er soll mithandeln, Leute ins Komitee bringen, aber nicht zeichnen. Wie die Dinge stehn, darf die Initiative nicht von zu vielen Juden ausgehen - sonst wird sie gleich klassifiziert; ebensowenig wie sie etwa zu sozialdemokratisch sein dürfte. Die österreichischen Witzblätter stellen mich ohnehin als Anführerin polnischer Juden dar. - Ich werde noch mehrere Menschen nahmhaft machen, die der deutschen Gesellschaft behilflich sein werden. Die Zeit dieser Gründung ist durch die drohende Militärvorlage die denkbar günstigste. Damit auch in Deutschland die Massenpetition, die unser Bureau verfasst hat, unterschrieben werde, müssen dort Gesellschaften bestehen. Die Manifestation kann geradeso großartig werden wie gegen die Schulgesetze - noch großartiger! Da sie gleichzeitig in ganz Europa sich erheben soll." (Bertha von Suttner: Memoiren. Herausgegeben von Lieselotte von Reinken. Mit einem Geleitwort von Ava Helen Pauling und Linus Pauling. Bremen: Carl Schünemann Verlag 1965, S. 236-237.)

Zwei Jahre später zeigen erneut zwei Hetzartikel, wie berechtigt der Hinweis Suttners auf die antisemitischen Kritiker der Friedensbewegung war. Ein Diskurs über Vorschläge des pazifistischen Rechtsanwaltes Richard Grelling (1853-1929, Mitbegründer der DFG) wird in der "Täglichen Rundschau" vom 10.6.1894 nicht sachlich übermittelt, sondern Anlass zu einer Polemik gegen die "weibische", "gefährliche" und "im übrigen meist jüdische" Friedensgesellschaft. - Die "Ostdeutsche Rundschau" vom 8.7.1894 antwortet einen Monat später auf pazifistische Artikel von Dr. Moritz Brasch (1843-1895), Balduin Groller (d.i. Adalbert Goldscheider, 1848-1916) und Moritz Adler (1831-1907) mit einem Rundumschlag gegen die Verschwörung eines den "kriegserzogenen Deutschen ewig fremden Stammes", eine angebliche "Weltherrschaft des jüdischen Kapitals in der Friedensära" und die "jüdisch-internationale Weltfriedensidee".

Quelle der nachfolgenden Dokumentation dieser zwei Zeitungsartikel | Gegen die Friedensbewegung. (Diese Stelle bleibt den Vertheidigern des Kriegsgedankens allzeit offen. Audiatur et altera pars). [= Textdokumentation aus: Tägliche Rundschau vom 10. Juni 1894; Ostdeutsche Rundschau, 8. Juli 1894]. In: Die Waffen nieder!, 3. Jahrgang, Nr. 8/1894, S. 300-302.

Gegen die Friedensbewegung

(Aus: Tägliche Rundschau, 10. Juni 1894)

Aus Kunst, Wissenschaft und Leben. Das Weibische, Unsinnige und Gefährliche des Treibens unserer Friedensfrauen und Friedensmännlein scheint allmählich den deutschen Elementen dieser im Uebrigen meist jüdischen Gesellschaft doch zu bunt zu werden. Auf einen Aufsatz des Berliner jüdischen Rechtsanwalts Grelling, der internationale Schiedsgerichte forderte, antwortete Karl Blind, das langjährige Mitglied des leitenden Vollzugsausschusses der Londoner Internationalen Schieds- und Friedensgesellschaft in den Münchener "Neuesten Nachrichten" mit Darlegungen aus seinen Erfahrungen, die deutschen Wolkenkukuksheimern wenig gefallen werden. Er schreibt: "Für Bildung eines ständigen europäischen Schiedsgerichts aller grossen und kleinen Staaten, dem sich jedes einzelne Volk stets zu unterwerfen hätte, kann ich mich nicht erklären. Denn so wie einmal die Dinge in der Welt liegen, würde zur Ausführung eines Spruches, im Weigerungsfälle des Verurtheilten, ein Heer der schiedsrichterlichen Mächte auf die Beine gebracht werden müssen. Zu Friedenszeiten hätte man also einen neuen Militarismus zu schaffen! Ueberdies wäre die Bildung eines ständigen Schiedsgerichts gerade für uns eine Gefahr. Das deutsche Reich ist zwischen zwei grosse eroberungssüchtige Staaten eingekeilt; und die Dänen sind ihm ebenfalls nicht besonders gewogen. Oesterreich hat sich der panslavistischen Zettelungen zu erwehren; und ihm möchten die Irredentisten das bis 1866 zu unserem Bundesgebiete gehörige Triest und Süd-Tirol entreissen. Konnte sich doch sogar der erste Staatsmann Italiens, der Freund des Dreibundes, dieser Tage, als er sich gegen das Treiben der Irredintisten wandte, nicht des Bedauerns enthalten, dass Italien 1866 nicht seine natürlichen Grenzen erlangte! Wo solche Stimmungen obwalten, da dürfte die Einsetzung einer gebieterisch auftretenden, ständigen Schiedsgerichtsbehörde in Europa unter Umständen schlimm für uns ausschlagen. Frankreich und Russland besässen in ihr eine gewichtige Stimme. Das blosse Wort: ‚Es solle der Besitzstand der betheiligten Staaten nicht angetastet werden’, böte schwache Sicherheit. Man hat sich in der Staatskunst nicht auf Redensarten zu verlassen, sondern mit den wirklichen Kräften zu rechnen. Jedermann aber weiss, oder sollte doch wissen, wie merkwürdig beliebt Deutschland im Auslande ist. Nehmen wir an, es würde ein Land - wie es uns gegenüber 1870 geschah - morgen von einem eroberungssüchtigen Feinde mit Krieg überzogen. Zu schiedsrichtern ist ja da von vornherein nichts. Ein Volk, das noch Selbstachtung besitzt, wehrt sich gegen freche Forderungen seiner Haut. Nehmen wir ferner an, das ungerecht überfallene Volk sei in dem ihm aufgezwungenen Kampf siegreich geblieben. Könnte es sich da nicht so fügen, dass über die von dem Sieger zu seiner künftigen Sicherheit gestellten Friedensbedingungen eine ‚neu auftauchende Streitfrage’ entstände, und dass ein ständiges Gericht der Mächte alle mit theurem Blut erkauften Errungenschaften wieder zu nichte machte? Wie wäre es uns 1871 vor einem solchen Gericht der Mächte ergangen? Nein, eine derartige Schlinge wird sich ein verständiges Volk nicht zum Voraus um den Hals legen lassen." Blind weist sodann nach, dass die sämmtlichen Heroen unserer deutschen Friedensfreunde die ärgsten Deutschfeinde und - die hinterlistigsten Friedensfeinde sind, von Gladstone angefangen, der 1868 im Kabinet das Bündniss mit Napoleon III. befürwortete, um Krieg gegen Deutschland auf Seite Dänemarks zu führen, bis zu dem "grossen" Hogdson Prait, dem eifrigsten Anwalt der französischen Ansprüche auf Elsass-Lothringen, der seit Jahren als erste Forderung die Niederzwingung Deutschlands durch eine von einem europäischen Kongresse zu erlassende "Verordnung" aufstellt, oder bis zu dem "weisen edlen Philosophen" Jules Simon, der seinen Franzosen immer und immer wieder von der Rheingrenze erzählt. Mit Recht erinnert Blind daran, dass Gladstone, der Befürworter des "Zentraltribunals Europas", die Bombardirung Alexandriens hinter dem Rücken mehrerer seiner Kabinetsmitglieder verfügte, was sein Kollege John Bright als ein Verbrechen am Völkerrecht und an der politischen Sittlichkeit brandmarkte. Wir sind nicht so abergläubisch, dass wir annehmen könnten, unsere Friedenstheoretiker vermöchten aus diesen harten Thatsachen nahe liegende Folgerungen abzuleiten; aber vielleicht geben sie nachfolgender "Bitte und Warnung" Gehör, mit der ihr bisheriger Freund Karl Blind seine Ausführungen schliesst: "Sagt nicht, wie es in dem Berliner Aufrufe geschehen ist: ‚Das deutsche Volk ladet den Schein auf sich, weniger friedliebend zu sein, als andere Völker!’ Das ist nicht die Sprache, durch die man lange lauernde Feinde abschreckt. Lasset vielmehr dem Auslande gegenüber keinen Zweifel darüber aufkommen, dass der Frankfurter Friedensvertrag um jeden Preis aufrecht erhalten werden wird! Trauet nicht der lockenden Schalmei von Fremden, deren schlimmes Ziel Ihr jetzt klar vor Augen habt! So werdet ihr die tückischen Feinde am besten von Euch fernhalten."

Wer schreit: "Die Waffen nieder!"?

(Aus: Ostdeutsche Rundschau, 8. Juli 1894)

Ein ruhmsüchtiger, hysterischer Blaustrumpf, der sich unter Anderem auch von der goldenen Regel: "Mulier taceat in ecclesia" [lat. Die Frau schweige in der Kirche] emanzipirt glaubt, hat mit dem Gepiepse angefangen. Baronin Suttner ist - wir wollen es annehmen - hierbei vielleicht noch von einem gewissen, wenn auch schwindsüchtigen Idealismus geleitet worden; was aber jetzt sich kreischend und friedezeternd in den Chorus der Klageweiber mischt, ist mehr als geeignet, auch die Lauterkeit der Absichten jener harmlosen Schalmeienbläser verdächtig zu machen. Das Juniheft der von Baronin Suttner geleiteten Zeitschrift "Die Waffen nieder" enthält drei grössere Aufsätze, sämmtlich von Juden verfasst: Dr. Moritz Brasch: Ludwig Börne und der Völkerfriede, Balduin Groller: Turpis causa, und Moritz Adler: Die allgemeine Wehrpflicht und der Staat. Ist es ein blosser, vielleicht nur mit der bekannten Tapferkeit des jüdischen Stammes zusammenhängender Zufall, dass gerade die sonst so praktisch und nüchtern denkenden Juden in der dummduseligsten aller Fin de siècle Bewegungen so unverhältnissmässig stark vertreten sind, oder ist dies nicht vielmehr ein Zeichen der nirgends unorganisirt auftretenden, immer auf ein bestimmtes Ziel lossteuernden Thätigkeit dieses uns kriegserzogenen Deutschen ewig fremden Stammes? Denken wir uns einen Augenblick das Ziel der Friedensfreunde erreicht und den Krieg als etwas längst überwundenes! Die stehenden Heere sind abgeschafft, Dem heutzutage mit 21 Jahren waffenfähigen Jünglinge fehlt die Gelegenheit, in der strengen, aber von Lebenssorgen freien dreijährigen Mannszucht des Waffendienstes körperlich und geistig zu reifen. (Wir sprechen hier nicht von den wenigen Tausenden der in verhältnissmässig günstigen Lebensbedingungen aufgewachsenen Bürgerssöhne, sondern von den Millionen der von Kindheit an in harter Arbeit, aber geistiger Dürftigkeit lebenden Jugend der untersten Volksschichten). Der beste Theil der Volkskraft dient nicht mehr dem Staate, der ihm in dieser Zeit - man frage ausgediente Soldaten! - wenigstens Weltkenntnis, Selbstbewusstsein und ein bescheidenes Mass allgemeinen Wissens gewährt, sondern irgendeiner markzerstörenden Grossindustrie als Arbeitsthier des Kapitals. Das wäre halt so nach dem Geschmacke des Manchesterthum, mit einem Schlage Millionen der besten Menschenkräfte für seinen Dienst frei werden, den 14jährigen Knaben bis in’s Mannesalter von dreissig Jahren (länger ginge es nur in seltenen Fällen) ununterbrochen an der Maschine zu sehen! Für den jungen Greis wird schon der Staat sorgen, für frische Arbeitskraft die Bevölkerung. Ein lebensunlustiges, vorzeitig entkräftetes Proletariat, die wenigen Besitzenden in langer Friedenszeit unter Genüssen verweichlicht, Uebervölkerung und dementsprechend verschärfter Kampf um den aufs Tiefste herabgedrückten Hungerlohn, Entmannung, Unmoral und Laster, kein ehrlicher Krieg von Nation zu Nation, sondern greuelvollster Klassenkampf, der Krieg Aller gegen Alle - das wären so die günstigsten Vorboten einer niemals wieder zu brechenden Weltherrschaft des jüdischen Kapitals in der Friedensära. Es lebe die jüdisch-internationale Weltfriedensidee!

Veröffentlicht am

18. September 2024

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