Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Zum Kampfe gegen Menschenmord: Der Krieg ist abzuschaffen!

Neu im Regal "Pazifisten & Antimilitaristen aus jüdischen Familien": Die Friedensschriften von Eduard Loewenthal (1836-1917)

Von Peter Bürger

Der vierte Band im "Regal: Pazifisten & Antimilitaristen aus jüdischen Familien" (Reihe: edition pace) vereinigt Friedensschriften und autobiographische Erinnerungen von Dr. Eduard Loewenthal (1836-1917). Dieser stammte aus einer jüdischen Familie in Württemberg und musste aufgrund seiner schriftstellerischen Arbeit wiederholt staatliche Repressionen erleiden. Er ist im 19. Jahrhundert als scharfer Kritiker des Militarismus, Verfechter einer obligaten internationalen Friedensjustiz und Pionier der damals im deutschen Sprachraum noch kaum entwickelten Friedensbewegung hervorgetreten - all dies im Streit wider das "Ministerium des Kriegs- oder Mord-Kultus".

Zum seinem Friedenswirken schreibt Salomon Wininger in der "Großen jüdische National-Biographie" (1929): "In Dresden, wo sich Löwenthal im Jahre 1866 niederließ, gründete er die Cogitanten-Akademie und den Europäischen Unionsverein. Der Krieg 1870/71 machte dieser Akademie ein Ende. Löwenthal war genötigt, nach der Schweiz zu flüchten, wo er in Zürich die ‚Freiheitswacht’ herausgab. 1871 kehrte er nach Berlin zurück, übernahm 1873 die Chefredaktion der ‚Neuen Freien Zeitung’ und gründete 1874 den deutschen Verein für internationale Friedenspropaganda, als Fortsetzung des im Jahre 1868 in Dresden von ihm begründeten Europäischen Unionvereines. Wegen Majestätsbeleidigung zu fünf Monaten Gefängnis verurteilt, begab er sich 1875 nach Brüssel, 1876 nach London, 1877 nach Paris, von wo er 1879 nach St. Denis bei Paris übersiedelte. In Paris gründete er die ‚Weltbühne’, ‚Die deutsche Pariser Zeitung’ und 1886 eine französische Monatsschrift ‚Le Monde de l’Esprit’, 1887 ‚l’Universite libre de Paris’ … In all diesen Blättern bekämpfte Löwenthal in energischer Weise den Militarismus. In diesem Sinne veröffentlichte er auch: Der Militarismus als Ursache der Massenverarmung (1868, auf Veranlassung der Societé des amis de la paix in Paris gedruckt, 1869 ins Französische übersetzt). Im Jahre 1888 kam er wieder nach Berlin und stand an der Spitze des neu konstituierten deutschen Vereines für internationale Friedenspropaganda, der später den Namen ‚Deutscher Verein für obligate internationale Friedensjustiz’ annahm. 1900, 1905 und 1906 wurde er von verschiedenen Seiten für den Nobel-Friedenspreis vorgeschlagen."

Bezogen auf die öffentliche Kritik des Militarismus, den publizistischen Einsatz für eine obligate Friedensjustiz, die pazifistischen Vereinsgründungen, übernationale Initiativen und den bemerkenswerten Ansatz einer friedensbewegten Befragung der Bevölkerungen ("Welt-Friedens-Plebiscit") ist Eduard Loewenthal in deutschen Landen ohne Zweifel als ein bedeutsamer Wegbereiter zu würdigen (seine ebenfalls vorauseilenden Voten zu einer Strafrechtsreform sind nicht Thema des neuen Bandes). Über Loewenthals Einschätzung des eigenen Wirkens schreibt Andreas Volkmer in seiner Dissertation "Kriegsverhütung und Friedenssicherung durch Internationale Organisation" (2012) u. a.: "Weil er schon relativ früh die Vereinigung der Parlamentsmitglieder der verschiedenen europäischen Länder mit dem Ziel der Förderung des Friedens angeregt hatte, sah sich Loewenthal als geistigen Urheber der im Jahr 1888 gegründeten ‚Interparlamentarischen Union’. Die im Jahr 1889 erfolgte Einrichtung des ‚Internationalen Friedensbureaus’ in Bern führte Loewenthal ebenfalls auf seine eigene Initiative zurück. Folglich hegte Loewenthal auch die Hoffnung, dass man ihm irgendwann den Friedensnobelpreis zuerkennen würde. Tatsächlich wurde Loewenthal seit 1900 wiederholt für den Nobelpreis vorgeschlagen."

Die Pionierrolle wird 1895 vermerkt in einem Aufsatz "Die Genesis der Friedensbewegung" von Alfred Hermann Fried und zwar mit folgendem Fazit: "Es dürfte … Herrn Dr. Löwenthal das Verdienst der ursprünglichen Anregung jener Organisationen zufallen, denen die moderne Friedensbewegung ihren Aufschwung verdankt." Weniger schmeichelhaft charakterisiert A. H. Fried allerdings später Loewenthals Broschüre "Geschichte der Friedensbewegung" von 1903 als "eine in die Augen springende, verschwenderisch mit Sperrschrift und Fettdruck ausgestattete Reklameschrift für ihren Verfasser" (Die Friedens-Warte 3/1920, S. 64).

E. Loewenthal musste seine Friedensarbeit weithin als Einzelkämpfer und wohl unter sehr bescheidenen materiellen Bedingungen umsetzen. Das bleibt auf Seiten der Leserschaft überall da zu bedenken, wo er sich - auch in der autobiographischen Schrift "Mein Lebenswerk" (1910/12) - hinsichtlich seiner wegweisenden Ideen und Unternehmungen nicht hinreichend gesehen und beim Friedens-Nobelpreis übergangen fühlt. In einem Zukunftsroman "In hundert Jahren" (1907) von Friedrich Eduard Bilz (1842-1922) ist ihm jedoch ein literarisches Denkmal gesetzt worden.

Im Jahr 1903 ließ Eduard Löwenthal - unter Vorbehalt - Zuversichtliches vernehmen: "Die Menschheitsgeschichte beginnt damit, ihren blutigen Charakter als bloße Kriegsgeschichte abzulegen, um den Charakter als Geschichte friedlicher Kultur-Entwicklung der Menschheit anzunehmen". Gleichwohl: "Auf eine gänzliche Beseitigung des Krieges und des Völker-Faustrechts ist aber erst dann zu hoffen, wenn die Völker selbst ihren bezüglichen Willen unisono in unzweideutiger Weise zum Ausdruck bringen" (im neuen Band: S. 168). Aus den letzten Lebensjahren 1914-1917 wird in der eingesehenen Literatur nichts mehr überliefert zu Loewenthals Weltwahrnehmung.

Die Vereinten Nationen haben nach den Abgründen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Jahre 1945 den Vorsatz der Friedenspioniere übernommen, kommende Generationen für immer von der Geißel des institutionalisierten Massenmordens zu befreien. Die bürgerliche Politik verspürt aber heute keine Hemmungen mehr, wieder einer Kriegsertüchtigung sondergleichen das Feld zu bereiten, und huldigt dabei blindlings sogar dem rundherum irrationalen Heilsversprechen der Atombombe, die Loewenthal natürlich noch nicht kannte.

Der Digitalausgabe beim Lebenshaus Schwäbische Alb folgt jetzt eine preiswerte Buchausgabe der Loewenthal-Schriften:

Eduard Loewenthal: Der Krieg ist abzuschaffen. Friedensbewegte Schriften für das Europa der Völker und einen Weltstaatenbund, 1870-1912. (edition pace | Regal: Pazifisten & Antimilitaristen aus jüdischen Familien 4). Herausgegeben von P. Bürger unter Editionsmitarbeit von Katrin Warnatzsch. Norderstedt: BoD 2024. (ISBN 978-3-7583-5069-6; Paperback; 252 Seiten; 11,99 €).

Inhaltsverzeichnis und Leseprobe auf der Verlagsplattform (überall im nahen Buchhandel bestellbar): https://buchshop.bod.de/der-krieg-ist-abzuschaffen-eduard-loewenthal-9783758350696

Lesestücke aus Loewenthals Friedensschriften

1.

"Krieg gegen den Krieg …, dann werden wir Tausende von Millionen, die jetzt zur Beschaffung von Werkzeugen des Todes verwendet werden, für die Wohlfahrt des Volkes, für Zwecke des Lebens und echter Humanität verwenden können, dann wird Vereinigung der Völker und eine Friedenssicherheit eintreten" (E. Loewenthal, Dezember 1868).

2.

Zum Kampfe gegen Menschenmord

"Wohlauf, laßt uns zum Kampfe schreiten,
Zum Kampfe gegen Menschenmord!
Hinweg mit allen Fürsten-Streiten,
Fort mit den Mord-Werkzeugen, fort! …

Wohlauf denn, auf zum letzten Kriege, -
Zum Kriege gegen jeden Krieg!
"Die Völkerfeindschaft war nur Lüge,
Dies ist uns Bürgschaft für den Sieg!"

(Dresden, im Februar 1870. Dr. Eduard Loewenthal)

3.

"Was ist überhaupt Moral, was Humanität, was geistiger Werth in den Augen des preußischen Vollblut-Junkers, der kein höheres Ideal kennt, als die Gewalt und die Macht, keine andere Logik, als die von Blut und Eisen! […] Nur eine Moral braucht der preußisch-deutsche Unterthan zu cultiviren, die Moral der Loyalität gegen die Völkerfreiheitsmörder. Durch diese königlich-kaiserliche Moral wird jede Immoralität, ja sogar jede Bestialität nicht nur aufgewogen, sondern heilig gesprochen. - Wie kommt es nun aber, daß ein Volk von Dichtern und Denkern sich in verhältnißmäßig kurzer Zeit vom hoh’n Olymp seiner geistigen und humanitären Classicität in die Barbarei eines solchen Molochdienstes hineinreißen ließ und in so völlige Unzurechnungsfähigkeit gerathen konnte?" (Das preussische Völker-Dressur-System, 1871)

4.

"Das Ministerium des Kriegs- oder Mord-Kultus hat dem Untertanen den Glauben beizubringen, dass das Kasernenleben mit dem Zuchthausleben nicht zu vergleichen sei, dass der Untertan, sobald er des Königs Rock trägt, nicht mehr sich selbst, sondern mit Leib und Leben dem König gehöre, dass er nicht mehr selbst denken und wollen, sondern nur gehorchen darf bzw. muß. "Stramm wie ein Corporal und stumm wie ein Leichnam" ist das erste Gebot für den preußischen Gladiator. Dafür bekommt er auch seine schöne Uniform und "ein Gewehr, das er kann mit Pulver laden und mit einer Kugel schwer". Überlebt er seine Soldatenzeit, so ist in ihm auch ein gehorsamer königstreu dressierter Pudel, wollte sagen Bürger erzogen, der … im Sinne der Regierung spricht und stimmt" (1871).

5.

Offener Brief an die Gemeindebehörden der Städte und Ortschaften aller europäischen Länder. "Geehrter Herr Bürgermeister (Vorsitzender des Gemeinderats etc.) - Der Unterzeichnete beehrt sich durch Ihre gütige Vermittlung dem Gemeinderat von … folgenden Vorschlag zu unterbreiten: In Anbetracht, dass die stets wachsenden Kriegs-Rüstungen den europäischen Frieden ohne Unterlass bedrohen, statt ihn zu sichern, - in Anbetracht, dass die europäischen Regierungen nicht die erlösende Formel finden, um dem System der Gewaltpolitik bzw. des Faustrechts im Völkerverkehr ein Ende zu machen, - in Anbetracht daß die sog. Friedensgesellschaften nur schönrednerische Früchte zu Tage fördern, - erlaubt sich der Unterzeichnete […] Sie ebenso wie alle Gemeindebehörden der europäischen Länder aufzufordern, in Ihrem Gemeindebezirk ein Plebiszit [Volksabstimmung] über […] [die drängenden] Fragen [des Friedens] zu veranstalten …" (6. Mai 1893: in deutscher und französischer Sprache)

6.

"An und für sich stellt der Inhalt der Geschichte der Friedensbewegung einen Wendepunkt für die Welt- oder Menschheitsgeschichte überhaupt dar, wie sie einen solchen noch nicht zu verzeichnen hatte. Die Menschheitsgeschichte beginnt damit, ihren blutigen Charakter als bloße Kriegsgeschichte abzulegen, um den Charakter als Geschichte friedlicher Kultur-Entwicklung der Menschheit anzunehmen." (Geschichte der Friedensbewegung, 1903)

7.

"Nur die von einem Weltstaatenbund sanktionierte Errichtung einer regelmäßigen obligatorischen Friedensjustiz kann zur endgültigen Beseitigung der Kriege oder der eigenmächtigen Selbsthülfe der Staaten führen. Nur wer dieses Ziel ernstlich in’s Auge faßt und seine Erreichung fördert, - nur der kann als ernster Vorkämpfer der Sache des bleibenden Friedens angesehen werden.

Was die ferneren Aussichten für die Friedensbewegung betrifft, so kann man behaupten, schon jetzt wird pour le bon plaisir des rois, d. h. nach dem bloßen Belieben oder zum bloßen Vergnügen einzelner Fürsten kein Krieg mehr geführt, da der Militärapparat zu schwerfällig, zu wuchtig, in seiner Anwendung zu teuer und zu riskant ist, indem der Ausgang eines Krieges sich dem Erfolge nach meistens als unberechenbar erweist.

Auf eine gänzliche Beseitigung des Krieges und des Völker-Faustrechts ist aber erst dann zu hoffen, wenn die Völker selbst ihren bezüglichen Willen unisono in unzweideutiger Weise zum Ausdruck bringen. Dies wird am Besten in Form eines Welt-Friedens-Plebiscites geschehen und zwar im Sinne der Errichtung einer obligatorischen internationalen Friedensjustiz. Sache der Friedensfreunde aller Länder wird es nun sein, ernstlich Hand an’s Werk zu legen, um ein solches Welt-Friedens-Plebiscit zu Stande zu bringen und ihm den gewünschten Erfolg zu sichern." (1903).

Veröffentlicht am

03. Oktober 2024

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