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Christliche Religion und Soldatenberuf

Zur Neuauflage eines Klassikers Adolf v. Harnacks über den frühkirchlichen Pazifismus aus dem Jahr 1905

Redaktion der Reihe "edition pace"

1905 veröffentlichte der protestantische Gelehrte Adolf von Harnack (1851-1930) seine jetzt als Neuedition vorgelegte Spezialstudie "Militia Christi" mit dem Untertitel: "Die christliche Religion und der Soldatenstand in den ersten drei Jahrhunderten". Darin, so Herbert Koch, "führte Harnack den Nachweis, dass es für die Christen bis zum Ende des 2. Jahrhunderts eine Selbstverständlichkeit war, keinen Dienst im römischen Heer zu leisten. Ein Problem entstand erst, als es mit fortschreitender Ausbreitung des Christentums auch Soldaten gab, die getauft werden wollten. Dies wurde dann zugestanden, aber nur unter Auflagen, etwa der, die Beteiligung an Hinrichtungen (d. h. an tötender Gewalt) zu verweigern. Eine Studie wie diese hatte es bis dahin nie gegeben."

Der Anhang dieser Neuausgabe enthält noch das "Soldatenkapitel" aus dem Werk "Mission und Ausbreitung des Christentums" (1902/1906) sowie "Anmerkungen" des Herausgebers zu Harnacks unrühmlicher Rolle als kriegskirchlicher Staatsdiener während des Ersten Weltkriegs. (1914-1918 stellte der Nationalprotestantismus dem Hohenzollernregime eine passende Schwertreligion zur Verfügung. Heute, mehr als hundert Jahre später, unterbreitet die evangelische Militärseelsorge der Öffentlichkeit lieber einen Operationsplan für den Kriegsfall - anstatt die rasante Militarisierung zu kritisieren: t-online.de, 12.9.2024; Tagesspiegel 13.9.2024; junge Welt, 8.10.2024).

Prof. em. Dr. Franz Segbers beleuchtet in seinem einleitenden Essay den Pazifismus der frühen Christenheit als "unzeitgemäße Erinnerung zur Zeitenwende": "Wie die Theologen der Alten Kirche in den vorkonstantinischen Jahrhunderten für ihre Zeit des Imperium Romanum eine kontextuelle Theologie der Gewaltfreiheit entworfen haben, ist es auch den Theologen und Theologinnen im 21. Jahrhundert aufgegeben, den Zusammenhang von Kapitalismus, Militarisierung und Rückkehr des Krieges als Kontext ihrer Theologie zu reflektieren."

Der Band eröffnet innerhalb der Reihe "edition pace" ein neues "Regal: Pazifismus der frühen Kirche". Kooperationspartner bei diesem Editionsprojekt sind das Lebenshaus Schwäbische Alb, das Ökumenische Institut für Friedenstheologie und die Solidarische Kirche im Rheinland. Nach der frei abrufbaren digitalen Erstauflage liegt jetzt auch die preiswerte Taschenbuchausgabe vor:

Adolf von Harnack: Militia Christi. Die christliche Religion und der Soldatenstand in den ersten drei Jahrhunderten. Mit einem einleitenden Essay von Franz Segbers. (edition pace | Regal: Pazifismus der frühen Kirche 1). Herausgegeben von Peter Bürger.
Norderstedt: BoD 2024. (ISBN: 978-3-7597-6020-3; Paperback; 180 Seiten; 9,99 €).

Inhaltsverzeichnis und Leseprobe auf der Verlagsplattform (überall im nahen Buchhandel bestellbar): https://buchshop.bod.de/militia-christi-adolf-von-harnack-9783759760203

Leseprobe aus dem Beitrag des Herausgebers Peter Bürger im Anhang des Buches:

Über Harnacks Forschungen zur ‚Soldatenfrage’ der Alten Kirche

(Quellenangaben & Anmerkungen: siehe Buchfassung)

Adolf von Harnack (1851-1930) nahm unter den Theologen, die sich um 1900 mit der Geschichte der Alten Kirche sowie der Erschließung der Kirchenväterquellen (Patristik) befassten, eine herausragende Stellung ein und zählt bis heute zu den Autoren, deren Werke bei entsprechenden Studien zwingend herangezogen werden müssen. Trotz seiner theologischen Kritik der Entwicklung von Kirchenverfassung und Dogma bewertete er jenen Prozess, der zur ‚Konstantinischen Wende’ und schließlich um 380 zum Aufstieg des Christentums zur Staatsreligion führte, positiv. Das Christentum - in seiner idealistischen Betrachtungsweise "die Religion selbst" bzw. "die letzte und höchste Stufe in der Geschichte der Menschheit" - vermochte demnach durch die Verflechtung von Imperium und Kirche erst seinen Universalismus zu entfalten. Abgesehen von der Verweigerung des "Kaiserkultes" enthielt es Harnacks Meinung zufolge nichts, was für den Römischen Staat strikt unannehmbar (bzw. bedrohlich) gewesen wäre. Hier bleibt - unter geringer Gewichtung staatskritischer Voten von biblischen und frühchristlichen Schriftstellern - jedoch ausgeblendet, dass sich im imperialen "Kaiserkult" keineswegs nur ein formaler "Staatsgehorsam" verdichtete, sondern auch ein ökonomischer, politischer und militärischer Gesamtkomplex des Römischen Imperiums (Münze - Macht - Militär).

Vor solchem Hintergrund ist die Erforschung der altkirchlichen Stellung zum Krieg von zentraler Bedeutung. Erasmus von Rotterdam beklagte vor einem halben Jahrtausend besonders nachdrücklich den Bellizismus in der nachkonstantinischen Christenheit: "Bald sind es die altererbten väterlichen Gesetze, bald die Schriften frommer Menschen, bald die Bibelworte, die wir schamlos, um nicht zu sagen gottlos verdrehen. Schon ist es beinahe dahin gekommen, dass es für dumm und gottlos gilt, gegen den Krieg auch nur zu mucken und das zu loben, was aus Christi Mund vornehmlich Lob empfangen hat." Der lutherische Kirchenhistoriker Albert Hauck (1845-1918) vermerkt in seiner "Kirchengeschichte Deutschlands" 1887: "Zwar gab es im Heere von Anfang an Christen, aber nie waren sie zahlreich. Man kennt die unter den Christen weit verbreitete Überzeugung, dass das Bekenntnis zu Christo und der Kriegsdienst unvereinbar seien. Sie herrschte gerade in Gallien. Noch im Jahre 314 musste die Synode von Arles diejenigen mit der Exkommunikation bedrohen, welche ihren Bedenken gegen den Kriegsdienst praktische Folgen gaben." 1902 veröffentlicht der römisch-katholische Kirchenhistoriker Andreas Bigelmair seine - relativ ‚versöhnlichen’ - Wahrnehmungen zur Stellung der vorkonstantinischen Christenheit gegenüber Staat und Militär.

Adolf von Harnack hat sich diesem Gegenstand schon in seiner bedeutsamen Studie "Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten" (Erstauflage 1902) zugewandt, in welcher er auch - freilich mit zu wenig Sinn für den ‚Universalismus des Judentums’ - das altkirchliche Bekenntnis zur ‚humani generis unitas’ (Einheit des Menschengeschlechts) und die "Botschaft von dem neuen Volk" beleuchtet. 1905 erscheint seine Spezialstudie "Militia Christi" mit dem Untertitel "Die christliche Religion und der Soldatenstand in den ersten drei Jahrhunderten". Darin, so Herbert Koch, "führte Harnack den Nachweis, dass es für die Christen bis zum Ende des 2. Jahrhunderts eine absolute Selbstverständlichkeit war, keinen Dienst im römischen Heer zu leisten. … Eine Studie wie diese hatte es bis dahin nie gegeben." Latein und Griechisch sind in dem Werk "Militia Christi" weitgehend in den Anhang verbannt, so dass es vielleicht schon bei seinem Erscheinen nicht nur einem exklusiven Fachpublikum empfohlen werden konnte.

Bischof Cyprian von Kathargo († 258) stellte erneut die kritische ethische Frage, warum das, was der Privatperson eine Mordanklage einbringt, rühmlich sein solle, wenn es auf Befehl des Staates hin erfolgt. Noch kurz vor der konstantinischen Wende hat Lactantius als Christ neben der Einschärfung des unbedingten Tötungsverbotes auch klar die ökonomischen Zielsetzungen der Militärdoktrin entlarvt … Aber Harnacks ein Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg erschienene Studie konnte z. B. von einem staatsnahen Moraltheologen wie dem Katholiken Prof. Anton Koch (1859-1915) so verstanden werden, dass ihr zufolge die altkirchliche Ablehnung des tötenden Kriegshandwerks sich angeblich lediglich auf "besondere sittliche Gefahren" des antiken Soldatenlebens und namentlich die Unvereinbarkeit des heidnischen Cäsarenkultes mit dem Glauben bezog. So jedoch wird der auch von Harnack erschlossene Befund ins Groteske verzerrt. In den erhaltenen Zeugnissen der ersten drei Jahrhunderte zu Theologie und Kirchenordnung finden wir nirgendwo auch nur den kleinsten Hinweis darauf, dass das einhellig für alle Getauften verbotene Töten in staatlichen Diensten doch unter bestimmten Umständen erlaubt sein könne. (Diese Einmütigkeit verliert auch durch neue Erkenntnisse oder Spekulationen über das Ausmaß der Präsenz von Christen im Heer oder in ‚Polizeieinheiten’ nichts von seiner Brisanz.)

Harnack, der sogar die Hebräische Bibel keineswegs als einen unverzichtbaren Teil des Kanons der heiligen Schriften betrachtet, würde freilich etwas nicht deshalb als "normativ" für die Gegenwart bewerten, nur weil es in der Alten Kirche als "normativ" galt. Vielmehr finden wir bei ihm den altkirchlichen Standort in der Kriegsfrage sachgerecht erhellt und gleichzeitig dessen nachkonstantinische Revision belobigt. So - gut lutherisch und deutsch - in einem Zeitungsbeitrag vom März 1918:

"Jeder Krieg scheint die Ideale und Forderungen der höheren Religionen zu mißachten, ja zu vernichten, und die Pazifisten versichern uns daher, daß jeder Christ ein Pazifist sein müsse. Allein zwischen ‚Krieg’ und ‚Krieg’ sind die Unterschiede ebenso groß wie zwischen ‚Pazifist’ und ‚Pazifist’. Die Waffe, die ich ergreife, um den Bruder, Weib und Kind und das Vaterland zu schützen, damit sie nicht leiblich und geistig verhungern, damit auch noch die folgenden Generationen leben können und damit mein Volk seine Mission in der Welt nicht verliere - diese Waffe ist geheiligt; die Waffe aber, die zu Unterdrückungen und Eroberungen ergriffen wird, ist verfemt. Es ist höchst lehrreich, daß auch schon die alte Kirche, so sehr sie den Krieg theoretisch verurteilte, diesen Unterschied praktisch hat gelten lassen. Sobald sie eine politisch verantwortliche Größe wurde - und das wurde sie im vierten Jahrhundert - hat sie nicht mehr gewagt, die praktischen Konsequenzen ihres jeden Krieg verurteilenden Standpunktes zu ziehen. Das war nicht Schwächlichkeit: es war die unreflektierte Einsicht, daß die Sittenregeln der Bergpredigt, welche dem Christen gelten, der da weiß, daß er hier keine bleibende Stätte hat, nicht ohne weiteres auf die Völker übertragen werden können, die die Erde bebauen und bewahren sollen." (Wiener Neue Presse, 28. März 1918)

Immerhin, eine irgendwie modifizierte Bedeutsamkeit der Bergpredigt auch für die Völker und ihr Verhältnis untereinander wird in diesen Ausführungen auf der Linie Max Webers vielleicht nicht ganz kategorisch ausgeschlossen. Der Text ist genau zu lesen. Welcher Krieg ließe sich am Ende denn nicht mit dem Verweis auf die Lebensbedingungen nachfolgender Generationen der eigenen Nation und die - wie auch immer geartete - ‚Mission eines Volkes in der Welt’ legitimieren ?

Der Dominikaner Franziskus Maria Stratmann zitiert in seinem Werk "Weltkirche und Weltfriede" (1924) folgende Zeilen Harnacks aus dem Jahrgang 1907 der Zeitschrift "Friedens-Blätter": "Wir freuen uns, wenn ein edler Patriotismus gepflegt wird. Aber wie armselig ist doch der Mensch, der im Patriotismus sein höchstes Ideal erkennt oder im Staat die Zusammenfassung aller Güter verehrt! Welch ein Rückfall, nachdem wir in dieser Welt Jesus Christus erlebt haben! Wir sollen mit aller Kraft die christliche [sic!] Einheit des Menschengeschlechtes erstreben und weitherzig genug sein, um fähig zu werden, daran zu glauben, daß die brüderliche Einheit der Menschheit kein Traum der Träumer ist, sondern ein vom Evangelium unabtrennbares Ziel." Ob der Autor sieben Jahre später von diesem Votum selbst noch etwas wusste?

Als ‚Pazifist’ - auch im Sinne der weiten Bedeutung dieser Bezeichnung in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts - konnte Adolf von Harnack ganz sicher zu keinem Zeitpunkt bezeichnet werden. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs ist er - über den von ihm unterstützten Friedrich Siegmund-Schultze - orientiert über Bemühungen um eine ‚Friedensökumene’ mit den Engländern. In einem Briefzeugnis des Jahres 1912 lesen wir jedoch sehr zweifelhafte ‚Friedensargumente’ aus Harnacks Feder, die weit weniger christlich klingen als das "Friedens-Blätter"-Zitat von 1907: "Der Gang der weltgeschichtlichen Entwicklung hat die drei germanischen Reiche England, Nordamerika und Deutschland auf großen Linien der Kultur an die Spitze der Menschheit gestellt. Diese drei Staaten haben außer ihrer Blutsverwandtschaft auch ein großes Erbe gemeinsam. Diese Gemeinsamkeit steckt ihnen die höchsten Ziele, aber verpflichtet sie auch vor dem Richterstuhl der Geschichte zu gemeinsamem und friedlichem Wirken."

Veröffentlicht am

17. Oktober 2024

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