Von der Bereitschaft zum VölkermordDer israelische Historiker Benny Morris hat Gedanken zum Vorwurf des Völkermordes in Gaza publiziert. Sie sind bemerkenswert.Von Moshe Zuckermann Der umstrittene israelische Historiker Benny Morris hat letzte Woche einen bemerkenswerten Text zur Klärung der Frage, ob im Gazastreifen ein Genozid stattfinde, publiziert. Umstritten ist er, vor allem unter israelischen Linken, weil er vor drei Jahrzehnten Forschungsergebnisse zum 1948er Krieg und zur palästinensischen Nakba vorlegte, die für viel Aufsehen sorgten, da sie aus dem nationalen historisch-politischen Konsens Israels ausscherten; späterhin machte er aber in dieser Hinsicht einen normativen Rückzieher, als er suggerierte, das "Palästinenserproblem" hätte schon damals im Rahmen der Nakba "gelöst" werden können. Umso erstaunlicher ist es, dass er sich diesmal der heiklen Erörterung eines möglichen Genozids in Gaza stellte. Seine Kolumne beginnt Morris mit der apodiktischen Feststellung: "Israel begeht in Gaza keinen Völkermord." Jene, die einen solchen behaupten, irrten schlichtweg: "Es gibt keine genozidale Politik der Regierung, es gibt keinen Beschluss der Führer, einen Genozid zu vollführen, es besteht keine bewusste Absicht, die Palästinenser auszurotten, und es gibt keine von der Regierung an die Armee bzw. von den hohen Militärrängen an die operativen Einheiten ergehenden Befehle, die ‘Palästinenser’ zu ermorden. Vielen von ihnen kommen um, aber eine politische Anweisung ist es nicht. Es gibt keinen Genozid. Aber der Genozid ist möglicherweise unterwegs." Diese erstaunliche Behauptung erklärt er wie folgt: "Die israelische Bevölkerung ist vielleicht auf dem Weg dorthin, befindet sich schon tief im Loop, der zum Völkermord führt, tief im Prozess der Einstimmung darauf. In dieser Hinsicht ist ein Teil des Volkes eigentlich bereits dort (wenn er sich dessen auch nicht bewusst ist), es handelt sich um jenen Teil, der ‘Amalek’ erinnert und entweder lauthals oder unter vorgehaltener Hand von Entwurzelung, Exilierung und Transfer redet (es sollte vielleicht in Erinnerung gerufen werden, dass die Nazis anfangs, 1939-1940, von der Exilierung des europäischen Judentums nach Madagaskar oder irgendeinem anderen Ort redeten, bevor sie mit der Massenvernichtung begannen)." Dies ist insofern bemerkenswert, als Morris hier nicht nur eine direkte Analogie zu den Nazis zieht - in Israel noch immer ein unverzeihlicher Tabubruch -, sondern begrifflich auch eine Unterscheidung zwischen dem real vollzogenen Völkermord und die mentale Vorbereitung auf ihn vornimmt. Diese Unterscheidung ist von höchster Bedeutung, da immer davon ausgegangen werden muss, dass ein Genozid nicht einfach "geschieht", sich "plötzlich" (gleichsam "aus heiterem Himmel") ereignet, sondern in einer wie immer gearteten - ideologischen, sozialen, nicht zuletzt auch sozial-psychischen - Bereitschaft zu seinem Vollzug wurzelt. Quelle: Overton Magazin - 08.02.2025. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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