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“Ermächtigungsgesetz” für die Kriegsindustrie – Historische Widerworte

Der Militarismus ist endgültig rehabilitiert und bläst zum Angriff auf alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens – eine Relektüre alter Texte könnte dem Widerstand vielleicht dienlich sein 

Von Peter Bürger

Gegen Gewalt von innen und von außen können Gemeinschaften nur auf einem einzigen Wege Widerstandskraft entwickeln: indem sie nämlich ihr soziales Gefüge menschlich, gerecht und kooperativ gestalten, die Kinder – und also auch die "Bildung" – stark machen, die Bedürftigen nicht allein lassen, den Kranken ohne Ansehen der Person (und des Kontos) ein gutes Gesundheitswesen bereiten, die Werktätigen nicht ausbeuten, den neu Hinzukommenden Unterstützung geben, die Alten nicht "abschreiben", Wohnungen für Menschen statt für Profite bauen, den öffentlichen Raum mit seinen allen dienenden Einrichtungen pflegen … Ein Blick auf die Sparpolitik zeigt, dass diese einzig rationale, erprobte Politikrichtung wider Gewalt von innen und außen nicht hoch in Kurs steht, vielmehr sabotiert werden soll.

Stattdessen bereitet die "Politik" (samt ihrer Sprachrohre) die Menschen bezüglich der genannten Felder auf bittere Zeiten, Schwachmachen, Kürzungen und Entbehrungen vor. Denn sie möchte lieber den erfolgversprechendsten Weg beschreiten, auf dem man Unsicherheit (innere Gewalt) produziert und einen kommenden Weltkrieg wahrscheinlicher macht: sie will eine astronomische Hochrüstungsoffensive einleiten, die von keinerlei Hemmung und keiner Grenze mehr gebremst werden kann. Die gesellschaftlichen Vermögen sollen den Totmach-Industrien in den Rachen gespült werden. Akteure, die nicht einmal in der Lage sind zur Gewährleistung eines funktionierenden öffentlichen Verkehrswesens, faseln von Notfallkonzepten für den Fall militärischer Konflikte, den sie selbst nach Ausweis einer konfrontativen Politik aber gar nicht für das Allerschlimmste zu halten scheinen. Die sehr sehr bescheidenen Friedensbudgets in den Haushalten früherer Tage sind ohnehin schon abgewickelt.

Angeführt wird all das von einem sich kernig dünkenden Westfalen und den traurigen Überresten der ältesten Ex-Arbeiterpartei im Land, die immer noch – wie ehedem – auch für rüstungsfreundliche Gewerkschaftsspitzen sorgt. "Geist" und "Macht" stehen für zwei verschiedene Welten. Wer dieser Tage trotz alledem unverdrossen glaubt, die Vernunft habe vorzugsweise Wohnstätten auf Regierungsbänken und in politischen Spitzenämtern, der kann sich zumindest getrost zum Schlafen hinlegen …

Zugegeben, die Dimensionen der jetzt angekündigten Militarisierungspläne und Rüstungsschulden übersteigen alle friedensbewegten Befürchtungen der letzten Jahre um ein Vielfaches. Aber so richtig neu und einmalig ist der Vorgang nicht. Die Sache lief in der Geschichte immer so ähnlich ab (und die Herren Pistolenschuss waren auch immer so ähnlich selbstbewusst aufgebläht beim Vortrag ihrer Kriegs-Esoterik), bevor es in vergangenen Zeiten dann über kurz oder lang zum großen Knall kam.

Von den hiesigen Kirchenspitzen hört man heute nicht, was Papst Franziskus zu den Waffenschmieden und einer Aufrüstungspolitik zulasten der Armen sagt. Dergleichen zählt selbst im ehedem erzkatholischen Sauerland nicht mehr, und schon gar nicht beim obersten schwarzen Sauerländer der Republik.

Die Sozialisierung auch der "progressiven Jungen" und die Formatierung des öffentlichen Meinungsbetriebes sind inzwischen weithin im Sinne der militärischen Heilslehre abgeschlossen. Man darf es endlich wieder laut, ohne Scham und auf allen Kanälen sagen: "Kriegsertüchtigung!" Deshalb mag es hilfreich sein, ganz anders gestrickte Menschen aus der Vergangenheit – Nonkonformisten und Liebhaber der Vernunft – zu Wort kommen zu lassen. Meine nachfolgende Auswahl von historischen Wider-Worten endet mit einem Text von Kurt Eisner aus dem Jahr 1914, der dem Widerstand gegen ein neues "Ermächtigungsgesetz" zugunsten der Kriegskonzerne vielleicht etwas Mut zuflüstern kann.

Übersicht zur nachfolgenden "Relektüre" wider den Hochrüstungswahn:

  1. Moritz Adler: "Die Mordmaschinen verschlingen ein Vermögen" (1868/1897)
  2. Eduard Loewenthal 1870: "Militarismus als Ursache der Massenverarmung"
  3. Jesuitenpater G.M. Pachtler 1876: "Namenlose Ausgaben für die Zerstörungskunst"
  4. Ludwig Quidde, 1893: Waffen statt Bildung und Wohnungspolitik
  5. Johann von Bloch, 1901: Die Staaten entreißen den armen Leuten das Geld und stecken es in die Rüstungen
  6. Eduard Bernstein, 1912: Nur noch "Verfechter der Rüstungen" im Parlament?
  7. Rudolf Goldscheid, 1914: Kanonen und "unbehobene soziale Übel"
  8. Schwedische Sozialdemokraten zum Weltkrieg 1914: Quittung für das Wettrüstungssystem
  9. Kurt Eisner, 1915: Über Nacht die unendliche "Finanzkraft" – fürs Militär
  10. Kurt Eisner, März 1914: Wie die Utopier uns heute zum Widerstand gegen die Rüstungskonzerne ermutigen

1. Moritz Adler, 1868/1897: "Die Mordmaschinen verschlingen ein Vermögen"

Der Österreicher Moritz Adler (1831-1907), der im 19. Jahrhundert zu den wenigen Pionieren der Friedensbewegung im deutschsprachigen Raum zählte, hat sich schon im Alter von 20 Jahren der Kritik des Militarismus zugewandt:

"Es lässt sich da nun gewiss nicht leugnen, will man unparteiisch sein, dass im Großen und Ganzen den Plänen der Regierungen von Seiten der öffentlichen Meinung und ihrer Organe fast keine Opposition, keine ernstliche Bekämpfung entgegentritt. Den Druck, das verderbensschwangere Herannahen eines neuen, eisernen Zeitalters empfindet wohl Jedermann, der Große wie der Kleine, Resignation der Gelehrte wie der Ungelehrte. Allein so wie man gewöhnt ist, irgend eine furchtbare, entfesselte Naturgewalt, gegen die alles Widerstreben unnütz, mit stummer, zagender Resignation über sich ergehen zu lassen, so handeln die Menschen auch in diesem Falle! – Wie einem unvermeidlich hereinbrechenden Sturm, geben sie dem heranziehenden Militarismus, ohne Kampf und die Hände in den Schoß gelegt, die aufkeimenden Saaten ihrer Zivilisation Preis! […] Seit Menschengedenken, sagen diese hochweisen Herren, habe es Kriege gegeben, also müsse es auch ferner Kriege geben, so lange die Menschen eben Menschen sind, und es können auch in den spätesten Zeiten Menschen ohne Kriege, gar nicht gedacht werden." (1868)

"Bösen Dämonen vergleichbar, in fürchterlicher Mannigfaltigkeit aufgestapelt, starren sie uns überall entgegen, die kleinen, die zierlichen Mordmaschinen bis zu den plumpen Ungetümen, deren einmalige Benützung (?!) ein Vermögen verschlingt und Hunderte von Menschenleben und mit saurem Fleiß erworbene Güter begräbt. Neben ihnen Zündstoffe aller möglichen Zusammensetzungen. Die Errungenschaften aller angewandten Naturwissenschaften der Bedienung der Dämonen geeignet, Dampf, Elektricität, Magnetismus, Akustik, Optik, Chemie, Mechanik, Hydraulik. – Ein schadenfroher Funke, und der schlafende Dämon erwacht zu todverbreitendem Leben." (1893)

"Dem aufmerksamen Leser … sollte nach meinem Wunsche eine doppelte Klarheit erschlossen werden. Erstens, dass die sozialdemokratische Partei wohl schimpft, aber kauft, d.h. der Regierung für Krieg und Rüstung unter allen möglichen Vorwänden und Selbsttäuschungen die allerschätzenswertesten Dienste leistet. Eine Opposition – wie bestellt! Zweitens, dass das auch gar nicht anders sein kann, weil diese Partei eines klaren … Programms mit … streng an die Sache sich haltender Kampfmethode, völlig ermangelt." (Kommentar zum SPD-Parteitag in Hamburg, 1897)

Textquelle ǀ Moritz Adler: Wenn du den Frieden willst, bereite Frieden vor. Texte wider den Krieg 1868–1899. (edition pace – Regal: Pazifisten & Antimilitaristen aus jüdischen Familien 3). Herausgegeben von P. Bürger. In Kooperation mit dem Lebenshaus Schwäbische Alb. Norderstedt 2024.
https://buchshop.bod.de/wenn-du-den-frieden-willst-bereite-frieden-vor-moritz-adler-9783759794505

2. Eduard Loewenthal, 1870: "Militarismus als Ursache der Massenverarmung"

Eduard Loewenthal (1836-1917) stammte aus einer jüdischen Familie in Württemberg und musste aufgrund seiner publizistischen Arbeit wider den Militarismus wiederholt staatliche Repressionen erleiden. Er schrieb 1870 in seiner Schrift "Der Militarismus als Ursache der Massenverarmung":

"Europa muss nahe daran sein, aus dem Leime zu gehen, wenn man bedenkt, welche furchtbare Anstrengung es seinen Beherrschern verursacht, dasselbe noch einigermaßen zusammen zu halten. Diese Anstrengung würde uns allerdings wenig kümmern und uns höchstens als Beweis von beschränkter oder imperialistischer Weltanschauung gelten, wenn nicht die Völker selbst am meisten darunter zu leiden und die gesamten Kosten des diplomatisch-militärischen Turmbaus vom modernen Babylon zu tragen hätten.

Wir glauben, es ist die höchste Zeit, dass die Völker Europas und zunächst die europäische Presse, in ihrer Gesamtheit sich ernstlich und unermüdlich der Frage bemächtigen, wie das Krebsübel der stehenden Heere und die damit verknüpfte unerschwingliche Steuerlast zu beseitigen seien. […] Während die Herrschaft des Geistes und der Intelligenz den allgemeinen Wohlstand und die Würde der menschlichen Gesellschaft im Einzelnen und Ganzen heben würden, ist die Militär- und Kasernenwirtschaft ganz dazu angetan, das Volk auszusaugen, zu entnerven, zu demütigen und zu entsittlichen. Kurz, eine natürliche Folge der physischen Gewaltherrschaft und ihres Aufwandes ist der Pauperismus oder die Massenarmut, das Übergewicht der Geldherrschaft und die damit verbundene allgemeine Demoralisierung. […]"

Vision für eine andere Politik: "Man wird dann die Milliarden, die man jetzt für den bewaffneten Frieden gebraucht, für Zwecke der Volksbildung, der menschlichen Wohlfahrt und des wahren Friedens verwenden können. Man wird, statt auf Mittel und Werkzeuge der Vernichtung, auf Mittel sinnen und Mittel schaffen können, welche dem Einzelnen den Kampf ums Dasein erleichtern und die menschliche Gesellschaft überhaupt ihren geistigen Zielen rascher zuführen werden. […] Man wird statt der Kasernen billige Wohnungen für Dürftige bauen, so dass es auch an gesunden, menschenwürdigen Wohnstätten Niemanden mehr mangeln wird. Kurz, an Stelle der Massenarmut und des Elends, welches der Krieg und der noch schlimmere bewaffnete Friede im Gefolge haben, wird ein Friede treten, der diesen Namen wirklich verdient […] Dann erst kann von wahrer Bildung, Zivilisation, Menschenwürde und Menschensitte, mit Einem Worte von Humanität wieder die Rede sein."

Textquelle ǀ Eduard Loewenthal: Der Krieg ist abzuschaffen. Friedensbewegte Schriften für das Europa der Völker und einen Weltstaatenbund, 1870-1912. (edition pace ǀ Regal: Pazifisten & Antimilitaristen aus jüdischen Familien 4). Herausgegeben von P. Bürger unter Editionsmitarbeit von Katrin Warnatzsch. Norderstedt 2024.
https://buchshop.bod.de/der-krieg-ist-abzuschaffen-eduard-loewenthal-9783758350696

3. Jesuitenpater G.M. Pachtler 1876: "Namenlose Ausgaben für die Zerstörungskunst"

Der Jesuitenpater Georg Michael Pachtler (1825-1989), ein früher Fundamentalkritiker des Militarismus, schreibt im Jahr 1876:

Militarismus ist "im engsten Sinne die Beanspruchung aller lebenden und toten Kräfte des Volkes für den einzigen Zweck des Krieges. […] Das wichtigste, höchste und allgemeinste Gewerbe der Gegenwart ist das Waffenhandwerk geworden. Die Bewaffnung selbst ist so vervollkommnet, die Vernichtungsmittel zu Wasser und zu Lande so gesteigert, dass vielfach die früheren Festungen und Schiffe kaum noch brauchbar sind, ein ganz neues Exercitium eingeführt werden musste. […]

Die Ergebnisse der geistigen Arbeit dienen den Zwecken der Vernichtung; das bestzivilisierte Volk wird jenes sein, welches die meisten und passendsten Kriegsmittel zur Zerstörung hat. Die höchste Bürgerpflicht, ja der Endzweck des bürgerlichen Lebens wird der Kriegsdienst, vor welchem das Familienleben, der Ackerbau, die Industrie, Kunst und Wissenschaft, das ganze Geistesleben eines Volkes in den Hintergrund tritt. Die Hauptkraft des Staates wird auf den Krieg hingelenkt, das Soldatenhandwerk steigt an Werthschätzung ungebührlich auf Unkosten anderer Berufsarten; die kriegerische Tüchtigkeit und Tapferkeit gilt als höchste, wo nicht als einzige Tugend, zum unermesslichen Schaden für die höchsten und eigentlichen Güter der Menschheit, für das letzte Endziel des Menschen. So aber muss unser Geschlecht systematisch materialisiert werden. Das lohnendste und gründlichste Studium gilt der Kriegstechnik und der Vervollkommnung der Waffen. Die Erfindungen in Betreff der Stahlerzeugung dienten vorherrschend der Geschützkunst; um die meilenweit tragenden Kanonen sicher zu richten, wurden die Fortschritte der Optik, unsere herrlichen Fernrohre, zu Hilfe gerufen. […]

Selbst der Diener der Religion hat nur noch insofern Bedeutung, als er zur patriotischen Entflammung der Soldatenherzen gebraucht werden kann. – Die toten Kräfte des Volkes dienen dem nämlichen Zwecke. Vor Allem wird die Steuerkraft übermäßig angespannt, der Nationalreichtum für den Unterhalt der bewaffneten Massen verwendet. Jede neue Erfindung auf dem Gebiete der Zerstörungskunst führt zu namenlosen Ausgaben, weil alsbald die gesamte europäische Bewaffnung verändert, die Festungen umgebaut oder vergrößert, die Kriegsschiffe noch dicker gepanzert werden müssen. Die Eisenbahnen, das vorzüglichste Verkehrsmittel der Gegenwart, werden nicht mehr sowohl im Interesse des Handels und Ackerbaues, als des Krieges gebaut; die strategischen Linien sind die Hauptsache, der Handel muss sich mit Zweigbahnen begnügen. Möglichst viele Bahnstränge an die feindlichen Grenzen befördern den Transport der bewaffneten Massen und des ungeheuren Materials: sie ermöglichen erst den nie gesehenen Umfang heutiger Kriege, den Kampf ganzer bewaffneter Völker. Telegraph, Post, Wissenschaft, Gewerbe dienen dem mörderischen Völkerkampfe. […] Das konstitutive Merkmal der krankhaften Militärwirtschaft ist, dass das Kriegswesen oberster Staatszweck wird, daher auch der Kriegsdienst oder Wehrzwang als erste und allgemeine Bürgerpflicht gilt. […]

Der Hauptnachdruck des politischen Lebens fällt auf den Krieg, welcher folgerichtig jedes Jahr den größten Theil des Staatseinkommens verschlingt. Daraus ergibt sich die Überbürdung des Volkes mit Steuern, stiefmütterliche Behandlung der übrigen Gebiete des staatlichen Wesens, während die militärische Organisation bis ins Einzelste herab als die vorzüglichste Geistestätigkeit gilt. So aber wird mit der Zeit der Schwerpunkt des ganzen gesellschaftlichen Lebens der Völker verschoben und auf den Krieg mit seinen Zerstörungsmitteln hingelenkt. Die ganze Staatsverwaltung neigt zum Zentralismus hin, welcher der militärischen Organisation am meisten entspricht, und nimmt den Charakter der herrischen Rücksichtslosigkeit und Härte an."

Textquelle ǀ Annuarius Osseg [= Georg Michael Pachtler SJ]: Der europäische Militarismus. Amberg: Verlag J. Habbel 1876.

4. Ludwig Quidde 1893: Waffen statt Bildung und Wohnungspolitik

Der linksliberale Antimilitarist Ludwig Quidde (1858-1941) vermerkte in seiner Anklageschrift "Der Militarismus im heutigen Deutschen Reich" (1893) zu den innenpolitischen Folgen des Aufrüstungswahnsinns:

"Wie elend es auf dem Gebiete des Volksschulwesens in Preußen vielfach noch bestellt ist, wie die Zahl der Kinder, die von einem Lehrer zu unterrichten sind, das Doppelte des Zulässigen beträgt und wie die Wohnungsverhältnisse vielfach jeder Beschreibung spotten, das hat nicht etwa ein böswilliger Agitator, sondern der preußische Kultusminister selbst kürzlich mit lebhaften Farben geschildert.

Die Mißstände sind zum Teil so himmelschreiend, dass für ihre Beseitigung einiges hat geschehen müssen; um ihnen aber ausreichend zu begegnen, fehlen die Mittel, denn diese Mittel werden aufgefressen vom Militär, und es fehlt ein Interesse, das sich so energisch durchzusetzen wüsste, wie jede militärische Forderung.

In der höheren Unterrichtsverwaltung spart man seit einiger Zeit vielfach in der kleinlichsten Weise. Übelstände auf diesem Gebiete, die lediglich durch knappe Mittel bedingt sind, hat kürzlich ein Fachgenosse, der die finanzielle Last der Militärvorlage für nicht erheblich erklärt, Dr. Jastrow, in seiner Broschüre Drückt die Militärlast? zur Erörterung gebracht. Er hat die Betrachtung daran geknüpft, wie Interesse und Geld nur für militärische Zwecke vorhanden sind und wie erschreckend gering das Maß von Anforderungen geworden ist, das die zivilen Interessen noch zu machen wagen. […]

Doch auch rein materiell beeinträchtigt die Vorherrschaft der militärischen Forderungen aufs schwerste die Kulturinteressen und unsere wirtschaftliche Entwicklung. […] Bezeichnender noch ist das riesige Anschwellen der Reichsschuldenlast, das ganz vorzugsweise durch Ausgaben für Heer und Flotte veranlasst ist. […] So drückt denn der Militarismus, auch ganz abgesehen von dem Interesse, das er allen übrigen Verwaltungszweigen entzieht, rein finanziell auf das ganze Gebiet der inneren Verwaltung. – Und mit ähnlicher Schwere drückt er auf das ganze Wirtschaftsleben, durch die Erhöhung der Steuerlast und durch die Entziehung so vieler rüstiger Arbeitskräfte. […]

Innerhalb der Regierung kann von einem entschiedenen Widerstande nicht die Rede sein. […] Auch der Reichstag hat gegenüber den Forderungen der Militärverwaltung nicht die Kraft des Widerstandes, wie [sonst] gegenüber allen übrigen Posten des Budgets".

Textquelle ǀ Ludwig Quidde: Über Militarismus und Pazifismus. Vier friedensbewegte Texte aus den Jahren 1893-1926. (edition pace.) Norderstedt 2024.
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5. Johann von Bloch, 1901: Die Staaten entreißen den armen Leuten das Geld und stecken es in die Rüstungen

Der Bankier, Großunternehmer und russische Staatsrat Johann von Bloch (1836-1902), aufgewachsen in Polen als Sohn einer ärmlichen jüdischen Handwerkerfamilie, veröffentlichte 1898 in sechs Bänden sein anschließend in mehrere Sprachen übersetztes monumentales Werk über den modernen Krieg im Industriezeitalter. In einem "Nachtragsband" schreibt er über die ganz gewöhnliche Irrationalität der politischen Akteure u.a.:

"Die Aufgabe, die ich mir gestellt habe, ein Bild der wahrscheinlichen politischen, wie ökonomischen Ergebnisse, die heute ein Krieg zwischen Großmächten zeitigen würde, zu geben, könnte ziemlich leicht erscheinen, da es unbestritten ist, dass diese Ergebnisse entsetzliches Elend zeitigen müssten. Die mehr oder weniger große Ungeheuerlichkeit eines Krieges hat jedoch auf die Entschließungen der Regierungen keinerlei Einfluss, sobald es sich darum handelt einen Krieg zu führen oder zu unterlassen. Man kann sagen, dass sie zumeist ohne vorhergehende Studien Kriege unternehmen. Diese sind alsdann das Ergebnis einer dieser blinden Leidenschaftswogen, die die Völker heimsuchen, das Ergebnis eines bald spontan sich zeigenden, bald durch unsichtbare Kräfte erzeugten vorübergehenden Wahns, der schließlich die Regierungen selbst mit sich reißt. […]

Ich beweise ferner, dass der bewaffnete Friede, wie wir ihn heute haben, nichts anderes, als ein versteckter Krieg ist, und dass diese Situation, die bereits eine chronische geworden ist, in zweierlei Art schwer auf Europa lastet.

Sie verschlingt zunächst einen großen Theil des flüssigen Kapitals, also der Gesamtheit der nationalen Ersparnisse, und verwandelt sie in Rüstungen; dann verhindert sie diese Kapitalien der Entwicklung des Handels, der Industrieproduktion beizustehen; sie zwingt zur Vermehrung der Steuern und entwickelt dadurch die Unzufriedenheit mit den Staatseinrichtungen zu einer solchen Höhe, dass schließlich die gesamte gegenwärtige soziale Ordnung gefährdet wird. […]

Woher nehmen die Staaten das Geld? – – Sie entreißen es den armen Leuten, den Bedrängten. Sie stecken dieses Geld, dessen sie nötig hätten, um die von Tag zu Tag ernster werdende soziale Bewegung zu befriedigen, in die Rüstungen. […]

Vergessen wir ferner nicht die Tätigkeit der zahlreichen Menschen, die die ungeheure Ungerechtigkeit eines Staates erkennen, der das Blut und den Schweiß des Volkes einem Mordinstrument widmet und dabei für die dringendsten Bedürfnisse dieses Volkes keine Mittel hat."

Textquelle ǀ Johann von Bloch: Die wahrscheinlichen politischen und wirtschaftlichen Folgen eines Krieges zwischen Großmächten. Neuedition der Übersetzung von 1901 mit Begleittexten von B. Friedberg, Manfred Sapper und Jürgen Scheffran. (= edition pace ǀ Regal: Pazifisten & Antimilitaristen aus jüdischen Familien 1). Norderstedt 2024.
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6. Eduard Bernstein 1912: Nur noch "Verfechter der Rüstungen" im Parlament?

Ausgerechnet – oder gerade – der Revisionist Eduard Bernstein verließ 1917 die SPD, da die Mächtigen im Parteiapparat in Treue zum deutschen Kriegsstaat den Herrschenden alle Wünsche erfüllten. Er war schon vor dem ersten Weltkrieg als Kritiker der in den Abgrund führenden Hochrüstung hervorgetreten und schrieb in seinem Aufsatz "Wie man Kriegsstimmung erzeugt" (Januar 1912):

"Es untersteht leider keinem Zweifel, dass die Ereignisse der zweiten Hälfte des Jahres 1911 der Friedensbewegung einen schweren Schlag versetzt haben … [Es] führen am Jahresende die Verfechter der Rüstungen und die Anwälte des Unfrieden säenden Misstrauens von neuem das große Wort. Soweit Deutschland in Betracht kommt, wird dies am greifbarsten dadurch veranschaulicht, dass im gegenwärtigen Wahlkampf für den Reichstag nicht eine bürgerliche Partei für die Forderung: ‚Verminderung der Rüstungsausgaben durch internationale Abmachungen‘ einzutreten wagt, die Parteien der Mitte und der Rechten, d.h. der kommenden Reichstagsmehrheit, dagegen durch den Mund ihrer Wortführer unumwunden für gesteigerte Rüstungen plädieren. Zwischen den Heydebrand und den Zedlitz, den Bassermann und den Hertling oder Erzberger besteht in diesem letzteren Punkte keine Meinungsverschiedenheit."

Textquelle ǀ Eduard Bernstein: Der Friede ist das kostbarste Gut. Schriften zum Ersten Weltkrieg. Mit einem Essay von Helmut Donat. Herausgegeben von P. Bürger. (= edition pace ǀ Regal: Pazifisten & Antimilitaristen aus jüdischen Familien, 5). Norderstedt 2024.
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7. Rudolf Goldscheid 1914: Kanonen und "unbehobene soziale Übel"

Rudolf Goldscheid (1870-1931), Pionier der Soziologie im deutschsprachigen Raum und Pazifist, konstatierte 1912: "Jede Kanone, jedes Panzerschiff stellt das Äquivalent für eine bestimmte Summe geopferter Menschenleben und unbehobener sozialer Übel dar." In seinem Text "Das Verhältnis der äußern Politik zur innern" (Juni/September 1914) zitiert er eingangs folgende Bemerkung des ehemaligen Reichskanzler Fürst Bülow: "Unsere auswärtige Politik musste in den ersten Dezennien des Flottenbaues unter abnormalen Verhältnissen arbeiten: die Rüstungen standen nicht im Dienste der Politik, sondern diese stand bis zu einem gewissen Grade im Dienste der Rüstungsfragen." Astronomische Rüstungsausgaben belasten die Völker und füllen die Kassen der ‚unproduktiven‘ Totmachindustrien. Die Menschen sehen sich im Kontext von Angstpropaganda und Sicherheitsversprechen genötigt, "gerade jene Waffen zu segnen, die gegen sie selbst gerichtet sind". Der hochgerüstete "bewaffnete Friede ist eben zugleich der stärkste Damm gegen die Ausgleichung der Gegensätze im Innern, gegen die Beseitigung jener künstlichen Niveaudifferenz, die den Strom der Volksarbeit auf die Mühle der Bevorrechteten lenkt." Kurzum: "Die herrschenden Klassen wären ganz außerstande, ihre bevorzugte Stellung aufrecht zu erhalten", wenn eine aggressive Außenpolitik "diese nicht kontinuierlich stärken und rechtfertigen würde". Doch selbst die Kirchen verraten ihre universalistische Botschaft. – Goldscheid schreibt über den brandgefährlichen Hochrüstungskomplex, der nach innen die Besitz- und Machtverhältnisse zementiert: "In der waffenstarrenden Welt wird die Angst der Völker vor einander immer größer. Friedenssicherung und Kriegsvorbereitung sind bereits nicht mehr mit Sicherheit zu unterscheiden. Um stark genug zu erscheinen, sucht man sich wechselseitig Schrecken einzujagen. Man weiß schon nicht recht, rasselt der Säbel mehr aus zitternder Furcht oder aus überschäumendem Mut. Bedienen sich doch Schwäche und Kraft derselben Mittel! Eine neue Massenpsychose hat die Völker ergriffen: nationale Nervosität. Um sich von dieser zu befreien, will man lieber früher als später losschlagen. – Dazu kommt, dass die Riesensummen für die Rüstungen nur aufgebracht werden können, wenn die entsprechende Seelenverfassung in den Menschen vorhanden ist. Die Kriegsfurcht muss darum noch künstlich genährt werden, und zwar so, dass sie sich in Kriegsbegeisterung umwandelt. Alle Völker müssen also in kriegerischem Geiste erzogen werden, und da dies dem natürlichen Geist unseres Arbeitszeitalters widerspricht, so muss diese Erziehung schon bei der Jugend beginnen. An diese Tendenzen knüpft das Rüstungskapital mit seinen spezifischen Interessen naturgemäß an, besonders indem es sich die Presse dienstbar zu machen sucht, um die öffentliche Meinung so zu bearbeiten, dass sie all das gutheißt, was das Rüstungskapital braucht, soll es in seinem Zinserträgnis nicht geschmälert sein. Was der Rüstungsindustrie um so leichter gelingt, als an ihr alle jene Produktionszweige mitinteressiert sind, denen durch die Höhe der Rüstungsausgaben die Führerschaft in der Vertretung der Produzenteninteressen zufällt." – Die Ideologie der vermeintlichen ‚Friedenssicherung mit immer mehr Waffen‘ wird die Aussicht auf eine echte Demokratie zunichtemachen und schließlich einen Weltkrieg entfachen: "Entweder Demokratie und Völkerverständigung werden eine parallele, sich wechselseitig fördernde Entwicklung nehmen, oder der internationale Antagonismus, mit seiner Friedenssicherung durch Rüstungssteigerung allein, wird die Auflösung der Demokratie einleiten, den Absolutismus in veränderter Gestalt wieder zur Herrschaft bringen, und so durch äußerste Entfesselung der Machtinstinkte schließlich einen Weltkrieg entzünden".

Textquelle ǀ Rudolf Goldscheid: Menschenökonomie, Weltkrieg und Weltfrieden. Ausgewählte Schriften 1912–1926. (edition pace ǀ Regal: Pazifisten & Antimilitaristen aus jüdischen Familien 2). Herausgegeben von P. Bürger – In Kooperation mit dem Lebenshaus Schwäbische Alb. Norderstedt 2024.
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8. Schwedische Sozialdemokraten zum Weltkrieg 1914: Quittung für das Wettrüstungssystem

Der Landeskongress der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in Schweden bekundete am 5. August 1914:

"In diesen blutigen Tagen ist das Urteil über das Wettrüstungssystem definitiv besiegelt, über jene Rüstungen, von denen es stets geheißen hat, dass sie den Frieden sichern sollen, diese Rüstungen, gegen welche einzig und allein die Sozialdemokratie aller Länder immer und restlos protestiert hat. Hat nicht Europa gerüstet und immer wieder gerüstet, bis die jährliche Last von zehn Milliarden die Völker erdrückte? Aber wo ist jetzt Europas Sicherheit? Das Wettrüsten hat nur bewirkt, dass die Opfer zahlloser sind und die Grundfesten unserer ganzen Zivilisation mehr erschüttert werden als je zuvor. Aber dieser Katastrophe wird ein Tag der Rechenschaft folgen."

Textquelle ǀ Eduard Bernstein: Die Internationale der Arbeiterklasse und der europäische Krieg. Tübingen: Verlag von J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1915.

9. Kurt Eisner 1915: Über Nacht die unendliche "Finanzkraft" – fürs Militär

Kurt Eisner (geb. 1867, ermordet 1919), erster Ministerpräsident des Freistaates Bayern, verließ 1917 wie fast alle geistig sehr regsamen Genossen die das Kriegssystem stützende SPD, um mit den Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) den deutschen Militarismus zu bekämpfen. Ende 1915 beschrieb er den Schwindel der astronomischen Aufrüstungsprofite in seinem Text "Zusammenbruch! Ein Jahrwendgespräch":

"Der Phantast. Das Leben ist kein Traum, aber wir verwirren es mit den Traumgespenstern schlimmer Nächte … Doch antworte mir, Mann der Tatsachen, ist es nicht wahr, dass wir vor dem Kriege in allen Parlamenten um jeden Pfennig feilschen mussten, der für Zwecke höherer Kultur, besserer Menschenwohlfahrt gefordert wurde? Schallte uns nicht immer das Wehewort der ‚Finanzlage‘ entgegen, die es den Regierungen leider unmöglich machte, diesen oder jenen an sich wünschenswerten Forderungen mehr wie Sympathien zu schenken! Aus der verzweifelten ‚Finanzlage‘ ist plötzlich über Nacht die unendliche ‚Finanzkraft‘ geworden. Man hat erst neulich Wahlen gegen uns zu machen versucht, indem man den schaudernden Wählern vorrechnete, dass allein unsere Anträge zur Reichsversicherungsordnung jährlich eine Mehrbelastung von 100, 200, 300 Millionen – die Höhe der errechneten Summe ist gleichgültig – erfordert hätten, wenn wir die Macht gehabt hätten, sie durchzusetzen. Jetzt spielen 10, 20, 40, 100 Milliarden keine Rolle mehr –

Der Realist. Das ist es eben, erst der Krieg hat uns endlich offenbart, wie reich wir in Wirklichkeit sind, welche Möglichkeiten der Kapitalismus zu entfalten vermag.

Der Phantast. Aber in dem Augenblick des Friedens schrumpfen diese Möglichkeiten wieder völlig zusammen, noch mehr wie zuvor. Dann haben wir statt der Finanzkraft wieder Finanzlage.

Der Realist. Unvermeidliche Kriegsfolgen! Das liegt in der Natur der Dinge …

Der Phantast. Allerdings, das liegt in der Natur der kapitalistischen Dinge. Aber wagen wir diese Natur zu erkennen. Das kapitalistische System verhindert also, für den Aufbau neuer Kulturwerte, für produktive Zwecke, für Mehrung und Erhöhung des Lebens die notwendigen Mittel zu finden, es gibt aber unendliche, in der Tat unerschöpfliche Mittel her, um Kulturwerte zu zerstören, Leben zu verderben und zu vernichten. Das ist der Wahnsinn schlechthin, eine grauenhafte Teufelsposse. Das Wort ‚Zusammenbruch‘ ist noch viel zu milde, um die ganze Ungeheuerlichkeit dieser Selbstvernichtung, Selbstverbrennung zu kennzeichnen.

Der Realist. Wenn es sich um äußerste Daseinsnotwendigkeiten der Nation handelt, zeigt der Kapitalismus die gewaltige Kraft, seine Sicherheit und seine Zukunft zu beleihen. Wenn dieser Krieg so glänzend auf Kredit geführt werden kann, so beruht die Grenzenlosigkeit dieses Kredits nicht nur auf dem Vertrauen zum Krieg, sondern hauptsächlich auf dem Vertrauen zur Lebensfähigkeit der kapitalistischen Ordnung. Wir führen den Krieg gleichsam mit der in Geld umgesetzten Zuversicht, dass der Kapitalismus nicht zusammenbrechen wird, noch lange nicht, vielleicht niemals.

Der Phantast. Du erinnerst zur rechten Zeit an einen weiteren Wahnsinn: Zerstörung, die dadurch möglich wird, dass die Produktionsmittelbesitzer ihre Waren im Ausverkauf auf Kredit hergeben, denen [sic] man durch neue Anleihen die Zinsen zahlt, in der Hoffnung, dass künftig die Massen von der keuchenden Arbeit ganzer Geschlechter die Ansprüche der Zinsgläubiger befriedigen werden. Ein Weltkrieg auf kapitalistischen Kredit, das heißt: Arbeit, Güter, Leben zerstören, für Einzelne Gebirge von Reichtümern auftürmen, für die Völker aber Siechtum, Verkrüppelung, Tod und zinsende Steuerknechtschaft in alle Zukunft. Lässt sich überhaupt ein System menschlicher Ordnung denken, das derart wider alle Vernunft, wider alle Zweckmäßigkeit ist?"

Textquelle ǀ Kurt Eisner: Texte wider die deutsche Kriegstüchtigkeit. Zusammengestellt von Peter Bürger – mit einem einleitenden Essay von Volker Ullrich. (= edition pace ǀ Regal: Pazifisten & Antimilitaristen aus jüdischen Familien 6). Norderstedt 2025.
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10. Kurt Eisner, März 1914: Wie die Utopier uns heute zum Widerstand gegen die Rüstungskonzerne ermutigen

Ein Widerstand hierzulande und anderswo wider den Wahn der unlimitierten Aufrüstung zu einem Weltkrieg und zur Zerstörung des gesellschaftlichen Gefüges wird nur aussichtsreich sein, wenn neben den Anwälten der Vernunft auch die Dichter und alle Künstlerinnen mit ins Boot kommen. Unsere Textsammlung beschließen wir deshalb für heute mit einem Mutmach-Text aus Kurt Eisners "Anekdoten aus Utopien" (März 1914) über den Rüstungskonzern Krupp-Essen, den man heute bei Bedarf natürlich auch durch "Rheinmetall-Düsseldorf" etc. ersetzen kann:

Das Morde-Geschäft

In Utopien errichtete einst Krupp eine Filiale. Niemand wusste, warum. Niemand kaufte also.

Da erschienen Vertreter der Firma bei den Räten der Weisheit, in den Zeitungsredaktionen, bei den Jugendlehrern und sprachen zu jedem: Wie nun, wenn Utopien vom Feind überfallen wird. Ihr wäret, waffenlos, vernichtet! Ihr braucht Kanonen, Panzerschiffe. Ihr müsst das Volk über seine Lebensgefahr aufklären, es soll auch – fügten sie zwinkernd hinzu – Euer Schade nicht sein.

Die Utopier sahen das ein. Warum sollten nicht schließlich auch sie solche Dinge haben, wenn man sie ihnen anbot! Und sie bestellten viele viele Kanonen und Panzerschiffe. Als der große Auftrag vollführt war, kamen die Agenten der Firma und legten jedem der patriotischen Werber ein Goldhäuflein hin. Da wussten die Utopier nun wieder nicht, was das sollte und ließen das Zeug ruhig liegen.

Nach einiger Zeit aber kam die Rechnung von Krupp – für die gelieferten Waren [Waffen]. Das fanden die Utopier unendlich lächerlich. Wie, diese Leute lassen sich den Patriotismus bezahlen, was als eine selbstlose Spende der Nächstenliebe angenommen war, erwies sich nun als ein gemeines Geschäft?

So verweigerten die Utopier jegliche Zahlung.

Krupp aber drohte zu prozessieren – vor dem Gericht in Essen. Nein, das wollten die Utopier durchaus nicht – in dieses verfluchte Europa reisen. Man lenkte mithin ein, und versprach zu zahlen, mit dem, was sie hatten.

Die Utopier aber hatten auf ihrer Insel ein wundersames Gift. Das war so stark, dass es die Menschen tötete, wenn sie nur daran dachten, sofern sie das furchtbare Gift im Hause besaßen. Man benutzte es, wenn alte Utopier keine Freude mehr hatten zu leben und zu sterben begehrten.

Das schicken wir Euch, erklärten die Utopier nach Essen. Sehet dann zu, dass bei Euch zu Lande jeder darüber aufgeklärt werde, dass es patriotisch sei, sich und die andern zu vergiften. Lasst in Eure Zeitungen schreiben (gegen heimliche Bezahlung), dass es für jeden Pflicht sei, das Gift zu erwerben und es zu gebrauchen. Dann steigt der Stoff im Preise und Ihr seid hinlänglich bezahlt.

Wir können doch nicht, erwiderten die Kruppagenten schaudernd, ein ganzes Volk vergiften, bloß damit wir unser Geschäft machen. Wie ruchlos seid Ihr Utopier.

Ruchlos? lachten die Utopier, wollen wir nicht mit der Münze zahlen, die ihr uns lehrtet

Textquelle ǀ Arbeiter-Feuilleton, Nr. 11 vom 26. März 1914.

 Zuerst erschienen im Online-Magazin Overton, 08.03.2025

Veröffentlicht am

10. März 2025

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