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Koalitionsvertrag der Aufrüster - Auf dem Weg in die Militärrepublik

Von Tobias Pflüger und Jürgen Wagner

Die Spitzen von Union und SPD stellten am 9. April ihren Koalitionsvertrag vor, der mit aller Wahrscheinlichkeit die Geschäftsgrundlage einer künftigen Merz-Regierung darstellen wird. Naturgemäß wird in derlei Rahmenpapieren eigentlich nicht allzu tief ins Detail gegangen, die grundlegende Stoßrichtung einer weiteren Verschärfung der deutschen Aufrüstungspolitik ist allerdings klar ersichtlich. Dies gilt vor allem für die Bereiche militärisches Bauen, Infrastruktur und Beschaffung, wo nahezu alle Schranken etwa in Form von Umweltauflagen abgeräumt werden sollen. Besonders problematisch sind die Teile zur inneren "Sicherheit", die den Weg zu einer flächendeckenden Militarisierung der Republik vorzeichnen. 

Deshalb ist es dringend notwendig, dass sich Widerstand gegen diese Pläne formiert. Zumal die Verschiebungen innerhalb der SPD, weg von den - zumindest halbwegs - moderaten Kräften um Rolf Mützenich hin zu seinem Nachfolger als Fraktionschef Lars Klingbeil sowie zu Boris Pistorius, der aller Wahrscheinlichkeit nach Verteidigungsminister bleiben wird, wohl leider dafür sorgen dürften, dass aktuell teils noch etwas vage Passagen weiter mit militaristischer Substanz gefüllt werden.

Schon in der Präambel des Koalitionsvertrages ist zu lesen: "Wir stärken unsere Verteidigungs- und Abschreckungsfähigkeit, um Freiheit und Frieden zu sichern. Stärke ist die Voraussetzung für Frieden. Deshalb wollen wir uns verteidigen können, um uns nicht verteidigen zu müssen. Mit Entscheidungen zur künftigen Finanzierung und Architektur unserer Sicherheit haben wir die Grundlage dafür gelegt, uns jeder äußeren Bedrohung erfolgreich zu erwehren. Wir stehen an der Seite der Ukraine, die auch unsere Freiheit und die Prinzipien der regelbasierten Ordnung verteidigt, und setzen auf einen gerechten und gemeinsam mit der Ukraine ausverhandelten Frieden." Eine Umschreibung, dass die Bundesrepublik Deutschland extrem hochgerüstet wird und eben nicht nur militärische Verteidigung, sondern auch militärischen Angriff vorbereitet.

Umbau der Industrie auf militärische Kriterien

Zuerst einmal fällt auf, dass Fragen von Militär und Rüstung den gesamten Koalitionsvertrag von CDU/CSU/SPD durchziehen. Drei Beispiele recht zu Beginn sind die Passagen zu Raumfahrtindustrie, Luftfahrtindustrie und maritimer Wirtschaft: "Raumfahrt ist eine Zukunfts- und Schlüsseltechnologie und auch für unsere Sicherheit und unsere militärischen Fähigkeiten zentral". (Koalitionsvertrag CDU/CSU/SPD) In einer dpa-Meldung, die u.a. im Nordkurier und der Augsburger Allgemeine zitiert wird, heißt es dazu lapidar: "Deutschland bekommt erstmals ein Raumfahrtministerium. Dafür soll das bisherige Ministerium für Bildung und Forschung zerschlagen werden." Dementsprechend findet sich im hinteren Teil des Koalitionsvertrages, der konkreter auf militärpolitische Fragen eingeht, unter anderem die Ankündigung, man wolle eine "nationale Weltraumsicherheitsstrategie" noch "im ersten Regierungsjahr veröffentlichen."

Beim der Luftfahrtindustrie steht: "Wir werden bis Ende des Jahres eine Strategie entwickeln, die die Fragen der zivilen und militärischen Luftfahrtindustrie sowie die Stärkung des Luftverkehrsstandortes zusammendenkt, und werden diese in dieser Legislaturperiode umsetzen." Ein Hinweis, dass es hier zu einer immer weiteren Vermischung ziviler und militärischer Flugindustrie kommt. Die Beteiligung von Lufthansa an der Entwicklung der F-35 für Deutschland ist dafür nur ein Beispiel.

Bezüglich maritimer Wirtschaft heißt es u.a.: "Wir sind auf eine wettbewerbsfähige Hafeninfrastruktur mit guter Hinterlandanbindung angewiesen, die auch militärische und energiepolitische Erfordernisse berücksichtigt." Bei der Förderung von Wirtschaftsunternehmen soll also immer auch der militärische Aspekt eine zentrale Rolle spielen. Das ist indirekt auch ein Hinweis auf den verabschiedeten Operationsplan Deutschland ("OPLAN DEU"), mit dem eine enge zivilmilitärische Zusammenarbeit organisiert werden soll. (siehe IMI-Analyse 2024/18)

Militarisierung der inneren "Sicherheit"

Der Operationsplan Deutschland wird denn auch gleich zweimal konkret angesprochen. So heißt es beim Thema Zivilschutz: "Durch eine Änderung der Rechtslage in der Zivilen Verteidigung ermöglichen wir Handlungsfähigkeit bereits vor dem Spannungs- und Verteidigungsfall. Die Gesamtverteidigung und insbesondere die Umsetzung des OPLAN Deutschland wird als militärische und zivile Aufgabe auf Ebene der Bundesregierung gemeinsam gesteuert und koordiniert. Die Zusammenarbeit zwischen Sicherheits-, Zivilschutzbehörden und Bundeswehr bauen wir aus."

Das zweite Mal ist vom Operationsplan Deutschland beim Themenbereich "Inneres" die Rede: Dort wird eine "Zeitenwende in der "Inneren Sicherheit" angekündigt, mit vielen Maßnahmen, die eher nach innerer Aufrüstung als nach "Sicherheit" klingen. "Mit gestärkten Sicherheits-, Zivil- und Katastrophenschutzbehörden, zeitgemäßen digitalen Befugnissen, neuen Fähigkeiten und ausreichend Personal starten wir eine Sicherheitsoffensive und nutzen dabei auch die neuen Finanzierungsinstrumente zugunsten von Bund und Ländern."

Geld ist genügend da

Mit neuen Finanzierungsinstrumenten sind wohl die Hunderte-Milliarden-Programme Infrastruktur und Rüstung gemeint. Beim 500 Milliarden Infrastrukturprogramm spielen militärische Aspekte eine wesentliche Rolle. (siehe IMI-Analyse 2025/09) Und das nach oben offene hunderte Milliarden Aufrüstungsprogramm ist dank der Grünen auch für Zivilschutz, Geheimdienste und laut Koalitionsvertrag offensichtlich auch für die so genannte "innere Sicherheit", sprich innere Aufrüstung, nutzbar. Diesmal ist ohne Abkürzung vom "Operationsplan Deutschland" bei den Kommunen die Rede: "Auf Grundlage des Operationsplans Deutschland sorgen wir im Zusammenspiel mit den Ländern dort für die notwendigen Investitionen und dauerhafte Finanzierung." Es geht um die Umsetzung des OPLAN DEU in den Kommunen u.a. durch enge zivil-militärische Kooperationen vor Ort.

Die auffälligste Stelle, an der das Papier reichlich vage bleibt, ist die Frage der künftigen Militärausgaben. Dazu heißt es zwar, sie sollen "bis zum Ende der Legislaturperiode deutlich und stringent steigen", dabei aber auch einen Betrag zu nennen, wird tunlichst vermieden. Auf der anderen Seite gibt die Formulierung, die "Höhe unserer Verteidigungsausgaben richtet sich nach den in der NATO gemeinsam vereinbarten Fähigkeitszielen", dann doch einen Hinweis: Berichten zufolge soll die NATO errechnet haben, dass zur Umsetzung der besagten Fähigkeitsziele jedes Land 3,6% seines Bruttoinlandsproduktes ins Militär stecken müsste - 2024 beläuft sich dieser Wert im Falle Deutschlands auf 2,12% des Bruttoinlandproduktes (BIP) (siehe IMI-Studie 2025/01).

Wehrpflicht "zunächst" noch nicht, aber Wiedereinführung der Wehrerfassung

Was die angesichts des angestrebten Aufwuchses der Truppe für erforderlich erachtete Intensivierung der Rekrutierungsbemühungen anbelangt, ist unter anderem von einer "Stärkung der Rolle der Jugendoffiziere" die Rede, ohne dass konkreter benannt wurde, was das genau beinhalten soll. Es ist aber damit zu rechnen, dass damit die Präsenz der Jugendoffiziere an Schulen weiter ausgebaut werden soll. Die aus Teilen der Union immer wieder heftig geforderte vollumfängliche Re-Aktivierung der Wehrpflicht, bleibt - vorerst! - aus. Erst einmal soll der durch die vorgezogenen Wahlen verzögerte Plan eines "Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert", umgesetzt werden, also ein für männliche Jugendliche verpflichtender Fragebogen, in dem sich aber noch gegen einen Dienst bei der Bundeswehr (oder anderswo) ausgesprochen werden kann. Entscheidend dürfte hier das Wort "zunächst" sein, da es mehr als fraglich ist, dass hierüber die anvisierten Rekrutierungsziele erreicht werden und sobald dies offensichtlich werden sollte, dürfte die Rufe nach der Wehrpflicht (plus Erweiterung auf Frauen und Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht) wieder deutlich lauter werden (siehe IMI-Studie 2024/05). Entscheidend ist aber, dass jetzt das mit der Wehrpflicht ausgesetzte Erfassungssystem rasch wieder etabliert werden soll, was zur Erfassung aller jungen Menschen führen wird und nicht zuletzt auch von großer Bedeutung für den anvisierten Aufwuchs der Reserve ist (siehe IMI-Analyse 2025/03). Die Koalition will noch in "diesem Jahr die Voraussetzungen für eine Wehrerfassung und Wehrüberwachung schaffen."

Begleitet wird das Ganze durch die weitere Stärkung von "Reserve" und "Heimatschutz", dabei gehe es darum  diese (Vor)-Truppenteile "entsprechend aus(zu)statten und sie strukturell und gesellschaftlich (!) besser (zu) verankern."

Bahn frei: Bauen - Rüsten - Beschaffen - Exportieren

Am genauesten geht der Koalitionsvertrag auf Maßnahmen zur Vereinfachung des militärischen Bauens, der Beschaffung und der Produktion ein, allesamt Elemente, die für eine Teilumstellung in Richtung einer Kriegswirtschaft stehen. Orientiert wird sich dabei an der im Dezember 2024 veröffentlichten "Nationale(n) Sicherheits- und Verteidigungsstrategie" (siehe IMI-Analyse 2024/52). Falls alle Stricke reißen, will der Staat notfalls auch gleich selber in relevante Rüstungsunternehmen einsteigen, eine Entwicklung, die sich ebenfalls bereits länger abzeichnet (siehe IMI-Analyse 2025/01). Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: "Wenn die vollumfängliche Gewährleistung der Sicherheits- und Verteidigungsinteressen Deutschlands durch Änderungen der Eigentums- und Anteilsverhältnisse an Schlüsselunternehmen der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie bedroht ist, werden wir auch strategische Beteiligungen des Bundes in Betracht ziehen."

Weiter will man in "besonders kritischen Bereichen" laut Koalitionsvertag "verstärkt mit Vorhalteverträgen und Abnahmegarantien arbeiten". Gleichzeitig heißt es, "bereits erfolgte Zertifizierungen und Zulassungen von Partnernationen erkennen wir […] an." Ferner soll eine "deutliche Steigerung der jährlichen Investitionen in militärische Infrastruktur" erfolgen und "das Genehmigungs- und Vergaberecht" will man "durch mehr Eigenvollzugskompetenzen für die Bundeswehr vereinfachen."

Für "militärische Bauvorhaben" soll es ein "Bundeswehrinfrastrukturbeschleunigungs-gesetz" mit "Ausnahmeregelungen im Bau-, Umwelt- und Vergaberecht sowie beim Schutz und der Widmung militärischer Flächen" geben. Generell genießen militärische Baubelange künftig Vorrang gegenüber Erwägungen, die etwa mit Denkmal-, Landschafts- oder Umweltschutz zusammenhängen: "Die Belange und die Infrastrukturmaßnahmen zur Gesamtverteidigung sind als überragendes öffentliches Interesse festzuschreiben und in der Umsetzung gegenüber anderen staatlichen Aufgaben zu priorisieren."

Mit Blick auf die Rüstungsforschung sollen "Hemmnisse, die beispielsweise Dual-Use-Forschung oder auch zivil-militärische Forschungskooperationen erschweren, abgebaut werden." Der Beschaffung soll mit einem "Beschaffunsgsbeschleunigungsgesetz" gedient werden, wobei die bisherige Kontrollpflicht des Bundestages für Projekte über 25 Mio. Euro angehoben werden soll: "Wir werden das Verfahren der Parlamentsbeteiligung in Beschaffungsfragen beschleunigen und empfehlen, die Höhe des Schwellenwertes für Beschaffungsvorlagen zu erhöhen."

Interessant und bezeichnend, wie konkret der Ausbau und die Unterstützung der "neuer Technologien" für die Bundeswehr und damit die Förderung der bundesdeutschen Rüstungsindustrie im Koalitionsvertrag formuliert wird: "Wir fördern verstärkt Zukunftstechnologien für die Bundeswehr und führen diese in die Streitkräfte ein. Dies gilt insbesondere für die Bereiche: Satellitensysteme, Künstliche Intelligenz, unbemannte (auch kampffähige) Systeme, Elektronischer Kampf, Cyber, Software Defined Defense und Cloud-Anwendungen sowie Hyperschallsysteme. Hierzu ist auch ein vereinfachter Zugang und vertiefter Austausch mit Forschungseinrichtungen, dem akademischen Umfeld, Start-Ups und Industrie notwendig. Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und europäischen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie einschließlich des wehrtechnischen Mittelstandes ist durch langfristig planbare Beauftragungen und vereinfachten Kapitalzugang zu stärken. Wir schaffen hierzu resilientere Lieferketten. Damit maximieren wir die deutsche und europäische Handlungsautonomie. Bei Rüstungskäufen außerhalb des EU-Vergaberechts werden wir Offset-Möglichkeiten nutzen."

Rüstungsexporte sollen zunehmen und nach "unseren Interessen" erfolgen

Und damit die ganzen Rüstungsgüter auch profitabel ins Ausland verscherbelt werden können, ist zu lesen: "Wir richten unsere Rüstungsexporte stärker an unseren Interessen in der Außen-, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik aus." "Wir wollen eine strategisch ausgerichtete Rüstungsexportpolitik, welche der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, ihren ausländischen Partnern sowie ihren Kunden Verlässlichkeit gibt. Die Unterstützung von Rüstungsexporten über Government-to-Government-Vereinbarungen bauen wir aus." Sprich, die Bundesregierung wird verstärkt selbst Rüstungsexporteur. Und "Exportkontrollgenehmigungen müssen rascher und koordinierter geprüft werden. Wir streben eine Harmonisierung der europäischen Rüstungsexportregeln an." Das heißt, die aufgrund der vermehrten "eigenen", also deutschen und europäischen, Rüstungsprojekte ebenfalls zunehmenden Rüstungsexporte werden weiter enorm zunehmen. Die einzige vage und interpretierbare Einschränkung ist noch: "Rüstungsexporte, bei denen ein erhebliches konkretes Risiko besteht, dass diese zur internen Repression oder in Verletzung des internationalen Rechts eingesetzt werden, lehnen wir grundsätzlich ab."

Resümee

Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD 2025 ist ein Aufrüstungs-Koalitionsvertrag, viele gesellschaftliche Bereiche sollen militärisch nutzbar und durchsetzt werden. Das Infrastruktur-Investitionspaket, dessen Gelder auch nach militärischen Kriterien vergeben werden sollen und das hunderte Milliarden starke Aufrüstungsfinanzpaket sind strukturbestimmend. Die Bundesrepublik ist unter der Merz-Klingbeil-Regierung auf dem Weg in eine Militärrepublik. 

Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - IMI-Standpunkt 2025/025.

Veröffentlicht am

14. April 2025

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