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Ute Finckh-Krämer: “Wichtig, Stimmen der Vernunft Gehör zu verschaffen”

Von Ute Finckh-Krämer - Redebeitrag für den Ostermarsch in Alpirsbach am 19. April 2025

Liebe Friedensinteressierte,

es ist in den letzten Jahren schwieriger geworden, über "Frieden" zu reden. Umso notwendiger ist es, und die diesjährigen Ostermärsche stehen aus gutem Grund unter dem Motto "friedensfähig statt kriegstüchtig". Ich möchte daher zunächst einmal zurückblicken.

Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg – für viele Menschen schon vor dem 8. Mai 1945, an dem die Wehrmacht bedingungslos kapitulierte. Zu Alpirsbach habe ich folgende Information gefunden: "Am 20. April 1945 konnte eine Abteilung der 1. Französischen Armee, von Ehlenbogen herkommend, den Ort kampflos einnehmen.". Damit hatte Alpirsbach mehr Glück als die Kreisstadt Freudenstadt, wo ein Armeeoberkommando stationiert war und die daher bei der Einnahme durch französische Truppen am 16./17. April 1945 fast komplett zerstört wurde. Vor ziemlich exakt 80 Jahren endete in dieser Region also der Krieg. Angesichts der Bilder und Nachrichten aus aktuellen Kriegsregionen können wir nachvollziehen, wie schlecht es den Menschen in großen Teilen Europas damals ging. Daher wehren wir uns zu Recht gegen die Vorstellung, dass wir "kriegstüchtig" werden müssen.

Eine der Konsequenzen aus dem verbrecherischen Angriffskrieg Deutschlands gegen seine Nachbarländer war Artikel 4 (3) GG: "Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden." Er gehört zu den Artikeln, die seit 1949 unverändert im Grundgesetz stehen. Alle Artikel, die sich auf die Bundeswehr beziehen, wurden erst später eingefügt, insbesondere der zur Wehrpflicht.

2011 wurde die Wehrpflicht ausgesetzt, jetzt wird darüber diskutiert, sie wiederaufleben zu lassen. Der 95jährige Jürgen Habermas, einer der wenigen noch lebenden Deutschen, die das Kriegsende und die Verabschiedung des Grundgesetzes bewusst miterlebt haben, hat vor vier Wochen in der ZEIT dazu Folgendes geschrieben: "Und zwar stoßen in dieses Horn nicht nur die üblichen Verdächtigen, die den historisch längst überwundenen Nationalismus als eine zeitlose Tugend feiern, sondern auch die Politiker, die eine aus guten Gründen postheroische Jugend mit der Wiederbelebung der Wehrpflicht aufmöbeln wollen. Und das inmitten von Staaten, die aus guten Gründen fast alle die Wehrpflicht längst abgeschafft oder ausgesetzt haben. In dieser Abschaffung der Wehrpflicht spiegelt sich ein weltgeschichtlicher Lernprozess, nämlich die auf den Schlachtfeldern und in den Kellern des Zweiten Weltkrieges gewachsene Einsicht, dass diese mörderische Form der Gewaltausübung menschenunwürdig ist – auch wenn dieses einstweilen letzte Mittel zur Lösung internationaler Konflikte, gewiss, politisch nur Schritt um Schritt abgeschafft werden kann."

Als Friedensbewegte tragen wir gerne dazu bei, die schrittweise Abschaffung des Krieges Realität werden zu lassen. Zunächst sah es allerdings nicht so aus – direkt nach dem Zweiten Weltkrieg begannen der Kalte Krieg und ein nukleares Wettrüsten, und in weiten Teilen der Welt fanden weiter blutige Kriege statt. Mehr als einmal wurde nur mit Glück ein dritter, nuklearer Weltkrieg verhindert. Die Älteren unter uns erinnern sich noch an die Feindbilder, die damals bestanden. Zum Glück gab es immer wieder Diplomaten, die wussten, dass auch und gerade mit Feinden verhandelt werden kann und muss. So können wir uns dieses Jahr auch an runde Jahrestage großer diplomatische Erfolge erinnern.

So ist vor 55 Jahren, 1970, der nukleare Nichtverbreitungsvertrag für zunächst 25 Jahre in Kraft getreten. Vor 50 Jahren – 1975 – hat die Bundesrepublik Deutschland ihn ratifiziert. 1990, also vor 35 Jahren, wurde er unbefristet verlängert.

Vor 50 Jahren wurde im Rahmen der KSZE die Schlussakte von Helsinki verabschiedet. Dadurch wurden vertrauensbildende Maßnahmen im Sinne einer Risikoreduzierung durch gegenseitige Inspektionen und Manöverbeobachtungen möglich. Die wiederum bildeten ab 1990 die Basis für massive Abrüstungsschritte in Europa.

Vor 35 Jahren (am 18. März 1990) fanden die ersten und einzigen freien Wahlen in der DDR statt, ein gutes halbes Jahr später (am 3. Oktober) dann die Wiedervereinigung Deutschlands. Erkämpft durch eine gewaltfreie Revolution, diplomatisch umgesetzt durch den 2+4-Vertrag, der auch die Grundlage für den Abzug der sowjetischen bzw. russischen Truppen aus der DDR darstellte.

All dies und viele andere Vertragswerke waren Ergebnis langer diplomatischer Verhandlungsprozesse zwischen Staaten, die sich im Kalten Krieg zutiefst misstrauten und sich hoch gerüstet gegenüber standen.

Friedensbewegungen und Antikriegsproteste haben – vor allem, aber nicht nur in demokratischen Staaten - Verhandlungen eingefordert, pauschale Feindbilder und worst case-Denken hinterfragt. Eines der bekannten Ostermarschlieder aus den 60er Jahren hat den Refrain:

"Marschieren wir gegen den Osten? Nein!
Marschieren wir gegen den Westen? Nein!
Wir marschieren für die Welt,
die von Waffen nichts mehr hält,
denn das ist für uns am besten!"

Und daher verurteilen wir alle Angriffskriege, den Russlands gegen die Ukraine genauso wie den der USA gegen den Irak. Wir weisen auf die vielen Toten und Verletzten hin und unterstützen diejenigen, die sich – egal, auf welcher Seite – dem Krieg verweigern. Wir stellen immer wieder die Frage, was versäumt wurde, wenn aus einem politischen Konflikt ein Krieg oder Bürgerkrieg wird. Denn nur so können wir dem Ziel einer Welt, in der es keinen Krieg mehr gibt, näher kommen.

In der augenblicklichen Situation ist es wichtig, Stimmen der Vernunft Gehör zu verschaffen – auch und gerade wenn sie von Menschen aus der klassischen Sicherheitspolitik kommen, denen nicht sofort vorgeworfen werden kann, dass sie weltfremde Pazifisten sind. So lohnt es sich, Texte von Helmut Ganser, der ehemaliger Brigadegeneral ist, von Wolfgang Richter, der als Oberst unter anderem bei der OSZE gearbeitet hat oder von Johannes Varwick, der Professor für Sicherheitspolitik in Halle an der Saale ist, zu lesen. Da finden sich dann gute Argumente gegen die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen in Deutschland, gegen die Lieferung von Taurusraketen an die Ukraine oder für die Unterstützung diplomatischer Initiativen zur Beendigung von Kriegen und für neue Anläufe zu Rüstungskontrolle und Abrüstung.

Wichtig ist dabei, über Europa hinauszuschauen. Der Atomwaffenverbotsvertrag, der 2017 verabschiedet wurde und 2021 in Kraft getreten ist, vereinigt Staaten, die bewusst auf das unkalkulierbare Risiko nuklearer Abschreckung verzichten. Inzwischen haben über 90 Staaten den Vertrag unterzeichnet und über 70 ratifiziert. Zuletzt hat Indonesien ihn ratifiziert, was hierzulande kaum gemeldet wurde. Die Vertragsstaaten rufen durch jährliche Konferenzen die dramatischen Folgen eines Einsatzes von Atomwaffen immer wieder in Erinnerung und diskutieren z.B. die technischen Voraussetzungen für die Verifikation nuklearer Abrüstung.

Auch wenn alle Zeichen auf Aufrüstung stehen, können wir etwas tun. Viele Menschen sehen Militarisierung und Aufrüstung skeptisch, auch wenn aktuell nur wenige einen Ansatzpunkt finden, um sich aktiv zu engagieren, weil die Diskussion um Krieg und Frieden zunehmend polarisiert ist und Fakten dabei weitgehend auf der Strecke bleiben. In einer Stellungnahme zum Koalitionsvertrag hat die Plattform Zivile Konfliktbearbeitung gerade formuliert: "Nachhaltiger Frieden entsteht nicht durch Abschreckung und Aufrüstung, sondern durch den Aufbau gerechter Strukturen, die Förderung von Dialog und Kooperation sowie die Stärkung zivilgesellschaftlicher Teilhabe. Ein solcher Zugang schafft Vertrauen, fördert gesellschaftliche Resilienz und eröffnet gewaltfreie Wege zur Bearbeitung von Konflikten – international wie innerhalb Deutschlands."

Und so ist es wichtig, dass der Bund für Soziale Verteidigung sich mit Möglichkeiten befasst, sich ohne Militär gegen einen Angreifer von außen oder innen zu verteidigen, dass die benachbarte badische Landeskirche das Friedensprojekt "Sicherheit neu denken" auf den Weg gebracht und die Evangelische Hochschule Freiburg ein Friedensinstitut eingerichtet hat.

Was wir der polarisierten Debatte entgegensetzen können, ist die Fähigkeit, zu differenzieren. Wir können immer wieder pauschale Feindbilder in Frage stellen und Worst Case-Szenarien hinterfragen. Wir können immer wieder daran erinnern, dass es in Konflikten entscheidend ist, nicht nur die eigene Position zu sehen und daraus die eigenen Aktionen zu begründen, sondern auch darüber nachzudenken, wie die eigenen Handlungen vom Konfliktgegner wahrgenommen werden.

Das gilt auch im Umgang mit den teilweise eskalierenden Konflikten im eigenen Land. Es ist gut und wichtig, für Demokratie und Menschenrechte zu demonstrieren. Es ist aber auch wichtig, zu verstehen, was diejenigen antreibt, die Parteien wählen, die demokratische Prozesse und Menschenrechte, insbesondere Minderheitenrechte und Frauenrechte, in Frage stellen. Das BMFSFJ hat im Rahmen des Bundesprogramms "Demokratie leben!" die Finanzierung einer ganzen Reihe von Kooperationsverbünden für zivilgesellschaftliche Organisationen fest vereinbart, die sich mit demokratischer Konfliktbearbeitung, digitaler Demokratie, Chancengerechtigkeit und Teilhabe befassen, aber auch gegen Antisemitismus, gegen Rassismus, gegen Extremismus, gegen Hass im Netz und Desinformation engagieren. Das stärkt alle, die sich für Frieden im eigenen Land einsetzen.

Ostern ist ein guter Zeitpunkt, um sich an das berühmte Jesuswort "Selig sind, die Frieden stiften" zu erinnern. Es gilt auf allen Ebenen der Gesellschaft, jede und jeder kann nach seinen Möglichkeiten zum Frieden auf der Welt beitragen. In diesem Sinne wünsche ich allen ein fröhliches Osterfest.

Vielen Dank.

Quellen und Hinweise:

Ute Finckh-Krämer ist aktiv beim Bund für Soziale Verteidigung (BSV). 

Bundesweit: Ostermärsche und -aktionen 2025

Auf der Website von Netzwerk Friedenskooperative finden sich:

Auf der Lebenshaus-Website finden sich:

Veröffentlicht am

20. April 2025

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