Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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“Offener Brief” an Bürgermeister wegen Unterstützung des Afghanistan-Krieges

Patenschaft Bundeswehr mit Stadt Gammertingen - "Verabschiedungsappell" für den Kriegseinsatz - Protest mit "Offenem Brief"

Insgesamt 448 Menschen und Organisationen aus der ganzen Bundesrepublik haben den „Offenen Brief“ des Vereins Lebenshaus Schwäbische Alb an den Gammertinger Bürgermeister Holger Jerg unterzeichnet, in dem gegen eine Patenschaft mit einer Bundeswehreinheit und der damit verbundenen Unterstützung des Afghanistan-Krieges protestiert wurde (Text siehe weiter unten). Mit der Zustellung der seit der letzten Übergabe im Juli eingegangenen Unterschriften wird diese Aktion jetzt im Dezember 2010 beendet (siehe auch Pressemitteilung "Unterschriften-Aktion gegen Bundeswehrpatenschaft beendet" ). Wir bedanken uns bei allen, die unsere Aktion unterstützt haben!

Auch nach Abschluss der Unterschriftenaktion wird Lebenshaus Schwäbische Alb weiter Geist und Logik von Krieg und Gewalt widersprechen. Deshalb wird die Patenschaft der Stadt Gammertingen mit der Bundeswehreinheit weiter kritisch beobachtet. Ebenfalls wird das Geschehen im Landkreis Sigmaringen kritisch verfolgt. Im Gegensatz zum Sigmaringer Kreistag, der ganz auf eine Militarisierung unserer Region setzt, sehen wir in der Schließung von Bundeswehrstandorten eine große Chance auf Entmilitarisierung und eine Entwicklung zukunftsfähiger ziviler Wirtschaftszweige und Arbeitsplätze.

Stadt Gammertingen unterstützt Afghanistan-Einsatz

In der Bundesrepublik lehnen inzwischen über zwei Drittel der Bevölkerung den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr ab. Um dieser ablehnenden Haltung der Bevölkerung sowohl gegenüber dem Einsatz in Afghanistan, aber auch wegen zukünftiger Auslandseinsätze der Bundeswehr entgegenzuwirken, wird über verschiedenste Maßnahmen versucht, so etwas wie Normalität für das Militärische zu erzeugen. Ein eindrückliches Beispiel einer solchen "Normalisierung" ist derzeit in der Stadt Gammertingen (Kreis Sigmaringen) zu beobachten. Im Mai 2010 wurde auf der gesamten Titelseite einer Ausgabe des "Amtsblatt der Stadt Gammertingen" über eine "Patenschaftskompanie" der Stadt Gammertingen berichtet, die aktuell Soldatinnen und Soldaten nach Afghanistan geschickt hat. "Patenschaftskompanie schickt Soldaten in Auslandseinsatz: 5.000 km bis Kabul" lautete die Überschrift zu einem Artikel über einen öffentlichen "Verabschiedungsappell" in der Kreisstadt Sigmaringen für 89 Soldatinnen und Soldaten nach Afghanistan und in den Kosovo. Unterstrichen wurde dies mit Bildern, auf denen uniformierte Bundeswehrsoldaten zu sehen sind sowie der Gammertinger Bürgermeister Holger Jerg. Dazu wurde ein lobender Brief eines Hauptfeldwebels an den Gammertinger Bürgermeister abgedruckt. Mit sichtlich großem Stolz wurde die enge Verbundenheit zwischen der Stadt Gammertingen und der Bundeswehr berichtet. Betont wurde, wie wichtig für die Bundeswehr die breite Unterstützung und Anerkennung ihrer Auslandseinsätze ist.Siehe "Amtsblatt der Stadt Gammertingen" Nr. 20 vom 20. Mai 2010, Titelseite (PDF-Datei, 1.091 KB)

Protest gegen "Patenschaft" - Offener Brief an Bürgermeister

Dazu sagen wir: Aber nicht in unserem Namen! Wir protestieren gegen die Unterstützung dieses Kriegseinsatzes im Namen der Stadt Gammertingen. Der Krieg in Afghanistan geschieht nicht in unserem Namen! Bundeswehrsoldaten sind nicht in unserem Namen am Hindukusch!

Wegen der aktuellen "Patenschaft" zur Bundeswehr und deren Vermarktung wird ein Offener Brief an den Gammertinger Bürgermeister Jerg gehen. Darin wird gegen die "Patenschaft" der Stadt Gammertingen mit der Bundeswehr protestiert und gefordert, diese "Patenschaft" wieder zu beenden. Gleichzeitig wird die Gemeinde aufgefordert, sich für zivile Alternativen im Afghanistan-Krieg einzusetzen und Kommunale Friedensarbeit zu fördern (siehe den Offenen Brief als PDF-Datei zum Download sowie den vollständigen Text unten).

Bitte um Unterzeichnung des Offenen Briefs

Wer den Offenen Brief an Bürgermeister Holger Jerg, Gammertingen, unterstützen möchte, ist herzlich dazu eingeladen. Erwünscht ist die Unterstützung durch Gammertinger Bürgerinnen und Bürger. Ebenso sind Menschen von außerhalb herzlich eingeladen, ihre Unterstützung und ihren Protest gegen diese Form von Militarisierung unserer Gesellschaft mit ihrer Unterschrift zum Ausdruck zu bringen. Gerade in einer Region, in welcher die Bundeswehr fest verankert ist, sind wir auf Solidarität bei unserem Protest angewiesen. Und ebenfalls angesichts der heftigen Reaktion von Herrn Jerg, der uns vorwirft, mit der Aktion eine "Diffamierungskampagne gegen die Stadt Gammertingen" zu betreiben.Siehe hierzu unsere Seite Fragen und Antworten zum Protest gegen Städtepartnerschaft mit Bundeswehreinheit .

Wir würden uns freuen, wenn sich zahlreiche Menschen aus nah und fern unserem Protest anschließen würden.


Links:

Da es bisher bereits ziemlich viele, teils auch sehr heftige Reaktionen gab und gibt, finden sich inzwischen zahlreiche Artikel zu unterschiedlichen Aspekten der Aktion und zur Gammertinger "Bundeswehrpatenschaft" in unserer Website. Inzwischen haben wir eine eigene Seite mit einer Übersicht zu den entsprechenden Links eingerichtet. Dort finden sich außerdem Links zu zahlreichen Medienberichten im Zusammenhang mit unserer Aktion und zum Thema "Bundeswehrpatenschaften". Weiter weisen wir auf ein paar Alternativen hin. Diese Übersicht findet sich unter:


Im Wortlaut: Offener Brief an Bürgermeister Jerg, Gammertingen

Offener Brief wegen Unterstützung des Afghanistan-Krieges

 

"Jubel über militärische Schauspiele
ist eine Reklame für den nächsten Krieg.
Man drehe diesem Kram den Rücken
oder bekämpfe ihn aktiv. Auch
wohlwollende Zuschauer sind Bestärkung."

(Kurt Tucholsky, 1927)


An
Herrn Bürgermeister Holger Jerg
Hohenzollernstraße 5
72501 Gammertingen

 

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Jerg,

auf der gesamten Titelseite des "Amtsblatt der Stadt Gammertingen" Nr. 20 vom 20. Mai 2010 wird ausführlich über einen öffentlichen "Verabschiedungsappell" in Sigmaringen für 89 Soldatinnen und Soldaten berichtet, die in einen ISAF-Einsatz nach Afghanistan bzw. in einen KFOR-Einsatz in den Kosovo verlegt wurden. "Unter den verabschiedeten Soldaten sind auch 11 Einsatzsoldaten aus der Patenschaftskompanie der Stadt Gammertingen", ist zu lesen und wie wichtig für die Bundeswehr die breite Unterstützung und Anerkennung ihrer Auslandseinsätze sei. Sie selber werden in einem ebenfalls veröffentlichten Schreiben eines Bundeswehrvertreters gelobt, "mit ihrer Anwesenheit und der Übergabe der Ortsschilder an unsere Einsatzsoldaten einen wesentlichen Beitrag zum gestrigen, gelungenen Verabschiedungsappell beigetragen" zu haben. Betont wird ebenfalls, dass aus Sicht der Bundeswehr "unsere Patenschaft mit Gammertingen etwas Besonderes ist."

Wir protestieren gegen die Unterstützung dieses Kriegseinsatzes im Namen der Stadt Gammertingen. Der Krieg in Afghanistan geschieht nicht in unserem Namen! Bundeswehrsoldaten sind nicht in unserem Namen am Hindukusch!

Wir protestieren ebenfalls dagegen, dass das "Amtsblatt der Stadt Gammertingen" für die propagandistische Unterstützung dieses Kriegseinsatzes benutzt wird.

Krieg löst keine Probleme und ist nie zu rechtfertigen. Doch selbst wenn wir alle ethischen, moralischen oder völkerrechtlichen Einwände einmal außer Betracht lassen, die sich gegen den Krieg in Afghanistan vorbringen lassen, so ist doch die Afghanistan-Mission, gemessen an den einst erklärten Zielen, nicht nur gescheitert, sondern wirkt kontraproduktiv. Das Desaster wird angesichts der verordneten Eskalation des Krieges noch schlimmer werden - auch für die deutschen Soldaten, die in diesen lebensgefährlichen Kriegseinsatz geschickt werden.

Zum Beispiel wird im Friedensgutachten 2010, dem gemeinsamen Jahrbuch der fünf Institute für Friedens- und Konfliktforschung in der Bundesrepublik, über das Ergebnis des Afghanistan-Einsatzes kein Zweifel gelassen: "Die Intervention in Afghanistan geht in ihr neuntes Jahr. Zwar hat US-Präsident Barack Obama angekündigt, im Sommer 2011 mit dem Abzug der Soldaten zu beginnen, doch weder dessen Abschluss noch ein Ende des Krieges sind in Sicht. Trotz massiver Verstärkung der NATO-Truppen hat sich die Sicherheitslage verschlechtert und die afghanische Regierung an Legitimität eingebüßt. Nicht einmal von einer defekten Demokratie kann die Rede sein. Die Korruption ist endemisch, Warlords und Kriegsverbrecher sitzen in der Regierung, die letzten Präsidentschaftswahlen wurden gefälscht und die fremden Truppen werden zunehmend als Besatzer gefürchtet. Die Afghanistanpolitik ist gescheitert." Siehe Friedensgutachten 2010 .

Statt der Fortsetzung des Krieges wird es höchste Zeit, endlich die für eine Waffenstillstandslösung in Afghanistan erforderlichen Gespräche und Verhandlungen für eine Friedenslösung und den Abzug der Bundeswehr zu beginnen, bevor weitere Bundeswehrsoldaten sterben müssen. Deshalb ist z.B. der Einsatz der Nationalen Friedens-Jirga Afghanistans zu unterstützen, die sich auf allen ihnen möglichen Ebenen für eine Waffenstillstandslösung für die Provinz Kunduz und darüber hinaus für ganz Afghanistan einsetzen. Weitere vertrauensbildende Maßnahmen, die den Aufbau der Zivilgesellschaft fördern, können sein: polizeiliche Ausbildung, Versöhnungsinstrumente in der Art der vom afrikanischen Kontinent bekannten Wahrheitskommissionen, Zivile Konfliktbearbeitung (ZVK) mit der gleichen vollen finanziellen Ausstattung wie der bisherige Militäreinsatz. Jede zivil-militärische Zusammenarbeit, selbst für eine Übergangszeit, muss aber prinzipiell ausgeschlossen sein. Kunduz zeigt: wo Militär ist, dominiert Militär zum Schaden der Aufbauarbeit am Frieden.

Dem Denken und Handeln in Kriegskategorien setzen wir also ein Denken und Handeln in Friedenskategorien entgegen. Dabei wissen wir den Großteil der deutschen Bevölkerung hinter uns. Von der Stadt Gammertingen erwarten wir, dass sie alle ihre gebotenen Möglichkeiten nutzt, um Frieden mit friedlichen Mitteln fördern zu helfen. Dabei ist uns bewusst, dass Kommunalpolitiker nicht unmittelbar über die Beteiligung an einem Krieg entscheiden. Kommunalpolitik aber kann friedensfördernd wirken und den Widerstand der Bürgerinnen und Bürger gegen die Kriegseinsätze stärken.

Wir fordern von Ihnen bzw. der Stadt Gammertingen

  • die Beendigung der Patenschaft mit der Bundeswehr
  • den Verzicht auf propagandistische Werbung für die Bundeswehr und deren Auslandseinsätze im "Amtsblatt der Stadt Gammertingen" sowie im öffentlichen Raum unserer Kommune.

Stattdessen wünschen wir uns die Unterstützung der Stadt Gammertingen für friedensfördernde Projekte. Zum Beispiel könnte die Stadt Gammertingen Projekte fördern, in denen

  • jungen Menschen die Möglichkeit gegeben wird im In- und Ausland Friedensdienste zu machen, um zur Völkerverständigung zwischen Deutschland und anderen Ländern beizutragen
  • Friedensfachkräfte zur zivilen Konfliktberatung im Inland und zum Lernen gewaltfreier Friedensarbeit eingesetzt werden - auch in Schulen und in der Gemeinde.
  • Bildungsangebote gemacht werden, durch die Menschen erlernen, eigenverantwortlich Frieden zu schaffen und diesen zu erhalten,
  • die Bevölkerung und politische Entscheidungsträger über Aspekte der Friedensarbeit informiert werden,
  • die städtischen Kindergärten und die Stadtbibliothek zu Orten für friedenspädagogische Maßnahmen werden.

Des Weiteren würden wir es begrüßen, wenn

  • sich Stadtverwaltung und Gemeinderat friedenspädagogische und friedenspolitische Fachberatung holen würden, beispielsweise durch das Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V., das seit über 30 Jahren als bundesweite Fachstelle einschlägig zu den Bereichen Friedenserziehung, Friedensforschung und Friedenssicherung arbeitet;
  • Sie sich als Bürgermeister der Stadt Gammertingen den "Mayors for Peace" anschließen, die sich für eine atomwaffenfreie Welt einsetzen.

Weitere wichtige Links:

Ausgewählte Links auf der Lebenshaus-Website:

Fußnoten

Veröffentlicht am

15. Juni 2010

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