“Strahlender Müll nach Gorleben oder ins Donautal?” - Großes Interesse bei VeranstaltungLebenshaus organisiert Veranstaltung zu brisantem ThemaGammertingen/Riedlingen, 24.11.2006 (ms): Um über Atomstrom, Atommüll und auch den jahrzehntelangen Widerstand gegen die Atomkraftnutzung zu informieren, fand am 22. November 2006 in Riedlingen eine Vortrags- und Diskussionsveranstaltung mit Jochen Stay aus dem Wendland statt. Veranstalter waren "Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.", die neu gegründete Bürgerinitiative "Bürger für ein atommüll-/atomenergiefreies Donautal und eine verantwortbare Energiepolitik e.V." sowie die "Ulmer Ärzteinitiative, Regionalgruppe der IPPNW". Diese Veranstaltung mit dem provozierenden Titel "Strahlender Müll nach Gorleben oder ins Donautal?" fand mit rund 55 Besucherinnen und Besuchern eine sehr gute Resonanz. Einleitend wies Michael Schmid vom Lebenshaus auf den Hintergrund für die Titelwahl hin. Vor rund zwei Monaten seien durch Pressemeldungen die Ergebnisse einer Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) bekannt geworden, nach der es in Baden-Württemberg zwei Gebiete gebe, die sich eventuell für ein Atommüll-Endlager eignen könnten. Eines dieser Gebiete sei das Donautal im Bereich zwischen Sigmaringen, Riedlingen und Ulm. Wenn Menschen aus dieser Region nun gegen ein solches Atommüll-Endlager protestierten, dann dürfe es nicht entsprechend dem Sankt-Florians-Prinzip darum gehen, nur ein solches vor der eigenen Haustür verhindern zu wollen. Es sei heuchlerisch genug, wenn die Atomkraftbefürworter der baden-württembergischen Landesregierung, die sich nachhaltig für die Verlängerung von Laufzeiten von Atomkraftwerken einsetzten, den anfallenden Atommüll irgendwo im Norden verbuddelt sehen wollten, nur ja nicht hier bei uns im Ländle! Vielmehr sei für Atomkraftgegner aus der Region die Forderung nach einem atommüllfreien Donautal nicht zu trennen von der Forderung nach der möglichst raschen Abschaltung der Atomkraftwerke. Gleichzeitig gelte es sich für eine Wende zu einer verantwortungsvollen Energiewirtschaft zu engagieren. Jochen Stay (41), der im niedersächsischen Wendland (Gorleben) lebt, wo er als Aktivist u.a. maßgeblich beteiligt ist an der Kampagne "x-tausendmal quer", die sich alljährlich den Castor-Transporten nach Gorleben in den Weg stellen.), ging zunächst auf die Frühzeit der Atomkraftnutzung in der Bundesrepublik ein. Die deutsche Energiepolitik sei vom Glauben an paradiesische Zustände durch Atomkraft geprägt gewesen. Ab den 1970er Jahren habe unter dem Einfluss der Anti-AKW-Demonstrationen teilweise ein Umdenken stattgefunden. Nach der stagnierenden, aber fortgesetzten Atompolitik der Kohl-Ära habe die rot-grüne Bundesregierung dann im Jahre 2000 den "Atomkonsens" mit den Stromkonzernen vereinbart. Er sehe diesen "Atomkonsens" sehr kritisch, denn er sichere den Stromkonzernen den ungestörten Betrieb ihrer Anlagen zu. Von 19 Atomkraftwerken seien bisher lediglich zwei kleine vom Netz genommen worden, die 17 großen würden weiter laufen. Aktuell würden die Stromkonzerne versuchen, jene 4 AKWs am Laufen zu halten, die eigentlich in dieser Legislaturperiode abgeschaltet werden müssten. Die Strategie ziele auf Zeitgewinn, um dann unter einer neuen Bundesregierung den "Ausstieg" rückgängig machen zu können. Die Frage der Entsorgung von hochradioaktivem Atommüll sei bisher weltweit nicht gelöst, betonte der Referent weiter. Aufgrund langer Halbwertszeiten sei die sichere Lagerung von hochgiftigen Abfällen über hunderttausende von Jahren erforderlich. Plutonium habe z.B. eine Halbwertszeit von rund 24.000 Jahren. Das bedeute, dass die tödliche Strahlung des Plutoniums im Atommüll nach 24.000 Jahren gerade zur Hälfte zurückgegangen sei. Experten würden eine sichere Lagerung von einer Million Jahren annehmen. Deshalb werde es also nie ein "sicheres" Endlager für Strahlenmüll geben. Denn niemand könne heute wissen, wie die politischen und geologischen Verhältnisse auf der Welt in Tausenden von Jahren sein werden. Atommüll bleibe eine tickende Zeitbombe für alle nachfolgenden Generationen. Jochen Stay führte aus, dass die heutigen Entsorgungskonzepte lediglich der räumlichen und zeitlichen Verlagerung des Problems dienen würden. Die Kraftwerksbetreiber würden ihre Becken leer bekommen, indem der Atommüll in Zwischenlager verbracht würde. Zwischenlagerung in Gorleben und neuerdings an den AKW-Standorten bedeute aber, dass der hochstrahlende Müll in Castorbehältern oberirdisch in Hallen gelagert werde. Doch was komme nach der Zwischenlagerung? In Gorleben sei ein Endlager geplant gewesen und es seien Baumaßnahmen für bisher 1,5 Mrd. Euro vorgenommen worden. Doch Gorleben sei nach Ansicht vieler Experten nicht als Atomklo geeignet. Im Jahr 2000 sei ein Moratorium verfügt worden, seither werde dort nicht mehr weiter gebaut. Umweltminister Gabriel habe aber verkündet, dass er das Problem mit dem Atommüll jetzt lösen wolle. Deshalb gehe die Suche nach dem "geeignetsten Standort" weiter. Aber eine Lösung, die etwas tauge, gebe es nicht. Anschaulich drückte Jochen Stay seine Haltung folgendermaßen aus: "Da es bisher weltweit nicht gelungen ist, einen Platz zu finden, an dem hochradioakiver Atommüll über viele tausend Jahre sicher gelagert werden kann, ist es vordringlich, die Atommüllproduktion zu beenden. Wenn bei mir die Badewanne überläuft, drehe ich zuerst den Wasserhahn ab und überlege dann, wie ich den Schaden eingrenzen kann." Jochen Stay vertrat die Meinung, dass sich Atomkraftgegner nicht an der Endlagersuche beteiligen sollten. "Erst wenn die Atomkraftwerke stillgelegt sind, kann die Gesellschaft - und dann gemeinsam - den am wenigsten schlechten Ort suchen, dann wenigstens für eine klar umgrenzte Müllmenge. Dann - aber nur dann - muss man sich wirklich mit dem kleinsten Übel zufriedengeben. Aber das kleinste Übel zur Legitimation zu verwenden, um den gefährlichen Atommüllberg immer weiter wachsen zu lassen, das geht nicht." Er betonte auch, wenn die in Riedlingen gegründete Bürgerinitiative fordere, dass es kein Endlager im Donautal geben dürfe, dann würde sie hierfür die volle Unterstützung aus Gorleben bekommen. Gemeinsam müssten wir dafür kämpfen, das Übel an der Wurzel zu packen: "Erst die Stilllegung aller AKWs, dann Endlagersuche. Erst den Hahn abdrehen, dann die Sauerei wegmachen. Ganz einfach." Ein wichtiges Anliegen seines Vortrags war Jochen Stay die Ermutigung der Anwesenden. Leider habe die Anti-AKW-Bewegung ein Problem damit, ihren eigenen Erfolg zu sehen. Dank der Anti-AKW-Bewegung, die in den 1970er Jahren zur stärksten Bürgerrechtsbewegung in der Bundesrepublik angewachsen sei, seien durch direkte Intervention (Platzbesetzungen) durch zehntausende Protestierende mehrere Atomanlagen verhindert worden. Die Anti-AKW-Bewegung habe auch erreicht, dass in Deutschland letztmals 1982 ein Atomkraftwerk in Auftrag gegeben worden sei (Neckarwestheim). Seither trauten sich die Stromkonzerne nicht mehr, ein neues zu errichten. Das seien Verdienste der Anti-AKW-Bewegung, die es auch entsprechend zu würdigen gelte, denn sie zeigten, dass etwas erreicht werden könne. Gegen Ende seines eindruckvollen Vortrags nannte Jochen Stay dann als aktuelle Möglichkeit, etwas zu tun, die Kampagne "Atomausstieg selber machen", also den möglichst massenhaften Umstieg vom Atom- zum Ökostrom. "Eine Unterschrift unter einen Vertrag bei einem Ökostromanbieter ist eine absolut sinnvolle und wirksame Unterschrift!" Abschließend verdeutlichte er noch, dass der Streit um den geplanten Endlager-Standort Gorleben bereits eine 29jährige Geschichte hat. "Gorleben" sei zu einem weltweit bekannten Vorbild für beharrlichen, kreativen, gewaltfreien und erfolgreichen Widerstand geworden. Bei den Protesten sei bereits die dritte Generation aktiv. "Gorleben ist der Beweis dafür, dass der Macht der mächtigen Stromkonzerne erfolgreich etwas entgegengesetzt werden kann, wenn sich die kleinen, anscheinend ohnmächtigen Menschen zusammenschließen." Dem Vortrag von Jochen Stay schlossen sich noch rund 45 Minuten angeregter Diskussion an. Nach Ansicht der Veranstalter und wohl auch der meisten Besucherinnen und Besucher war dies insgesamt eine sehr interessante und gelungene Veranstaltung zu einem hochbrisanten Thema. Veröffentlicht amArtikel ausdrucken |
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